© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Preußen – eine humane Bilanz: Eine Serie von Ehrhardt Bödecker / Teil 6
Die Gesundheit der Untertanen ist ein hohes Gut
Ehrhardt Bödecker, Gründer des Brandenburg-Preußen Museums Wustrau, berichtigt gängige Preußen-Klischees / Auszüge aus seinem neuesten Buch

Die Technische Universität Berlin feierte am 14. Mai 1979 das hundertjährige Bestehen des preußisch deutschen Lebensmittelrechts. Zu dieser Zeit war es immer noch das modernste Gesetz seiner Art unter allen Staaten. Reinheit der Lebensmittel oder ihre Unverfälschtheit lagen im Gesundheitsinteresse aller Bürger, die sich stets der besonderen Fürsorge des Staates erfreuten. Mit Gefängnis oder einer erheblichen Geldstrafe war bedroht, wer gesundheitsschädigende Nahrungsmittel verkaufte. War dem Täter die Gesundheitsgefährdung bekannt, wurde Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren angedroht. Die Aufsichtsämter waren ebenfalls in die Strafandrohung einbezogen. Nicht das „L’Etat, c’est moi“ – „Der Staat bin ich“ – des französischen Königs Ludwig XIV., sondern das Wort Friedrichs des Großen: „Der König ist der erste Diener des Staates“ hat die preußische Bürokratie veranlaßt, im Gesundheitsinteresse der Bürger verschiedenste Gesetze zu Hygiene, Gesundheit und Lebensmittelschutz – heute würde man von Verbraucherschutz sprechen – dem Reichstag zur Verabschiedung vorzulegen und damit auch auf diesen Gebieten eine Vorreiterrolle in Europa zu übernehmen.

In Gesundheitspolitik und Hygiene war Deutschland weltführend

In der Gesundheitspolitik und Hygiene war Deutschland führend in der Welt. Die Namen von Rudolf Virchow, Robert Koch und Friedrich Althoff stehen stellvertretend für viele. Diese konsequente Fürsorge für die Gesundheit der Bürger hinderte Bismarck nicht einmal daran, eine Verstimmung im Verhältnis zu den USA in Kauf zu nehmen, obwohl er in seiner politischen Vision ein gutes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten im Interesse Deutschlands für geboten hielt. Dieser Wunsch erfuhr jetzt einen weder gewollten noch erwünschten Dämpfer. In den USA gab es keine gesetzlich vorgeschriebene Trichinenbeschau. Die Verhältnisse in den amerikanischen Schlachthäusern entsprachen nicht deutschen Bestimmungen. Veterinärmedizinische Proben in Deutschland hatten in wiederholten Fällen einen Trichinenbefall bei importiertem amerikanischen Schweinefleisch eindeutig nachgewiesen. Das führte zum Einfuhrverbot von amerikanischem Schweinefleisch. Bismarck setzte das Gesetz am 1. Januar 1883 gegen massive Opposition im Reichstag durch. Die Opposition operierte mit den üblichen Argumenten, Bismarck wolle nur seine Agrarier vor der Einfuhr billigen Schweinefleischs schützen. Doch im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung nahm Bismarck diesen Vorwurf in Kauf. In zwei kleineren Städten nämlich in Hedersleben (bei Quedlinburg) und Hettstedt, hatte der Genuß von amerikanischem Schweinefleisch zu verhältnismäßig vielen Todesfällen geführt. Auch in anderen Städten hatte der Verzehr von Schweinefleisch Todesfälle verursacht. Die Entdeckung der „Trichina spiralis“ hatte schon 1868 in Preußen zur Einrichtung von städtischen Schlachthäusern geführt sowie zum Schlachthofgesetz. Danach war eine Trichinenbeschau bei jedem Schwein vor der Schlachtung obligatorisch.

Volksgesundheit rangierte vor außenpolitischen Interessen

Die amerikanische Presse geißelte das Importverbot des Deutschen Reiches als den Beginn eines europäischen Zollkrieges gegen die USA. Bismarck hoffte jedoch, Kampfzölle mit einem so befreundeten Staat wie den USA trotz allem vermeiden zu können. Bismarck wies die deutschen Konsulate an, jede Polemik und alles zu vermeiden, was unsere freundschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten beeinträchtigen könnte. Die mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den Schlachthäusern der USA führten 1890 sogar dazu, in Europa die Einfuhr von gekochtem amerikanischen Schweinefleisch in Dosen zu untersagen, da sich selbst in diesen noch Trichinen nachweisen ließen. Unter den späteren amerikanischen Präsidenten wurde in den USA eine Inspektion des Schweinefleisches, welches zum Export nach Europa bestimmt war, durchgesetzt. Der Nachfolger Bismarcks lockerte dann in dem sogenannten Saratoga-Abkommen im August 1891 die Einfuhrbestimmungen. Bismarck nannte dieses Abkommen eine Fehlentscheidung, die sich gegen die Gesundheitsinteressen der Menschen in Deutschland richte.

Fortsetzung in der nächsten JF

Foto: Pockenimpfung im Deutschen Reich, seit 1874 Pflicht: Eine europäische Vorreiterrolle bei der konsequenten Fürsorge für die Gesundheit seiner Bürger

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen