© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Der Schein vom schönen Leben
Zwischen dieser Welt und einer anderen: Alfons Muchas vitale Frauenfiguren
Wolfgang Saur

Die Rückkehr des lange Zeit geschmähten Jugendstils ist nun perfekt. Der Toleranzimpuls der 1970er: ästhetische Wahrnehmung zu pluralisieren und von der Avantgarde verhängte Stilverbote einzureißen, findet seinen Abschluß im aktuellen Applaus für Alfons Mucha. Die 150. Wiederkehr seines Geburtstags trifft auf ein geneigtes Publikum, tourte doch erst 2009 eine gewaltige Ausstellung durch Europa (JF 17/09). Da hat die Schaulustigen Mu­chas berauschende Bildwelt eingesogen.

Die internationale Neubewertung des tschechischen Künstlern setzte ein seit 1989; sie wurde besiegelt mit der Gründung der Mucha-Stiftung 1992 und des Mucha-Museums 1998 in Prag. Zuvor galt Mucha als „unmöglich“: Kunstkenner werteten seine brünstigen Bildphantasien als schlichten Dekokitsch; Tschechien versteckte sein patriotisches Monumentalwerk 30 Jahre lang; und die Kunstmetropole Paris ließ Muchas raffiniertes Gesamtkunstwerk, das erlesene Interieur des Juweliers Fouquet, 45 Jahre im Magazin vermodern.

Aber war das nicht der Mann, den man einst als „größten dekorativen Künstler weltweit“ pries? Ist es nicht er, in dem wir heute die repräsentative Figur des Jugendstils anerkennen? Steht er doch wie kein anderer für die Idee, durch schöne Formgebung der Welt verlorene Einheit wiederzugewinnen.

Freilich: Die Dinge täglichen Gebrauchs bis zur persönlichen Geste harmonisch zu gestalten, blieb exklusives Privileg des reichen Privatmanns. Doch trugen neue Medien wie das Plakat ästhetischen Wandlungszauber auch in die vergnügungsfrohen Massen. Auf dieser Stilklaviatur nun – ob populär, ob exquisit – zog Mucha virtuos alle Register.

Gestartet war er 1879/81 als neubarocker Kulissenmaler in Wien. Sein Vorbild: Hans Makart (1840–1884), schwelgerischer Malerfürst der Gründerzeit mit seinen Tizianroben, lukullischen Öltableaus und dem pompösen Atelier, das Mucha ebenso übernahm wie die schwülen Salongefühle, in die der Ältere seine Figuren tauchte. Mucha reüssierte mit der prunkvollen Ausmalung von Schlössern, bevor er die Münchener Akademie bezog (1885/87). Seit 1887 in Paris, dem epochalen Kunstzentrum, warf er sich auf die angewandten Künste, gestaltete Bücher, Stoffe, Möbel, Glas, Silber, Porzellan und Schmuck.

1894/95 gelang der Durchbruch. Sein Gismonda-Plakat für Sarah Bernhardt machte ihn sofort berühmt. Jetzt streifte Mucha die anonyme Zeitgenossenschaft ab und entdeckte seine ureigene Ausdrucksform als Künstler. Seine Plakate liefen um die Welt. Meister des Jugendstils und Teil der internationalen Kunstszene, sog Mucha seinerseits Impulse aus allen Weltgegenden eklektisch auf. Gekrönt ward diese Erfolgsgeschichte mit seiner fulminanten Teilnahme an der Pariser Weltausstellung 1900.

An sie knüpft sich eine Wende. Mucha hatte den bosnischen Pavillon ausgemalt und so das slawische Thema und seine Leidenschaft für die Folklore entdeckt. Beide bestimmten ihn nach 1910, als der nun patriotische Tscheche heimkehrte, um nach öffentlichen Wandaufträgen sich ganz seiner monumentalen Vision, dem „Slawischen Epos“ (1910–1926), zu widmen. In ihm verbanden sich Historienmalerei und mystischer Nationalismus der panslawistischen Idee. Im Resultat hat Mucha in den besten seiner 20 Riesentableaus eine surreal eigenwillige, mythisch durchsetzte Geschichtsvision geschaffen. So war er nun vom Ringstraßenstil des Habsburgerreichs über den internationalen Jugendstil zur östlichen Folklore gelangt.

Dies Ende bezeichnet nur den anderen Pol des großen Werks: seiner Mentalität, Thematik und gestalterischen Kraft. Dem irrlichternden Schicksalsblick der Geschichtsprophetie kontrastiert die strahlende Lebensfreude der entfesselten Linienkunst.

Dieser „Mucha-Stil“ seiner Pariser Druckgrafik wird ewig populär bleiben. Wir treffen auf schöne Frauenfiguren – sinnlich, träumerisch, schmachtend, rätselhaft immer. Strahlt doch für Mucha die Frau „Glückseligkeit aus (…), schwebt zwischen dieser Welt und einer anderen, vereint in sich Madonna und Venus“ und drückt so freudige „Zukunftsahnung“ aus (R. Lipp). Diesen kosmischen Optimismus hat der Künstler in eine zündende Bildformel übersetzt, die Linie und Fläche polarisiert. Wallende Haare, Gewandfalten, Schwertlilien gehen in Schwingung über. Die Linien verselbständigen sich, gewinnen Eigenleben, werden zu Kraftvektoren einer vitalen Ekstase. Sie drehen, wirbeln, rasen herum, entfesseln einen wahren Hexensabbat, dessen Dynamik Fortschrittsglauben und Lebenslust beschwört. Aufgefangen wird dieser formale Exzeß durch geschlossene Kreisfiguren, Rahmenvignetten und Ornamentflächen: Strahlengleich sind Muchas Schönheiten eingefaßt; die unendliche Linie aber ist diszipliniert und harmonisch aufgelöst.

Diese schlüssige Bilderfindung befriedigte Seele und Anschauung zugleich. Sie hat Muchas Kunst zeitlos gemacht.

Foto: Alfons Mucha, Summer (1896): Kosmischer Optimismus

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