© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Pankraz,
Götz George und die wahre Zivilcourage

Es gibt einen (schlechten) ARD-Fernsehfilm mit Götz George, Titel: „Zivilcourage“. Götz spielt darin einen gehobenen Bürger in Berlin-Kreuzberg, der ein Gewaltverbrechen von Typen mit „Migrationshintergrund“ beobachtet und anzeigt. Die Polizei tut aber nichts, während die angezeigten Typen Götz unter Dauerterror setzen, ihn mit wüsten Drohungen überziehen. Götz kauft sich daraufhin einerseits eine Pistole, andererseits beginnt er (er ist „Alt-68er“), sich für die Verbrecher und ihre migrantischen Nöte zu interessieren, gewinnt „realistische Perspektiven“. Die ganze Sache endet ziemlich feige im Wischiwaschi.

Zur Zeit läuft in München der Prozeß in Sachen Dominik Brunner (das Urteil steht noch aus). Ein Siebzehn- und ein Achtzehnjähriger bedrohten in der S-Bahn eine Gruppe von (körperlich schon sehr gut entwickelten) Dreizehn- bis Fünfzehnjährigen, der gehobene Bürger Brunner beobachtete es, mischte sich ein, forderte die Provokateure zum Boxkampf heraus, schlug sich mit ihnen, wurde niedergeworfen, starb. Wer hat nun mehr „Zivilcourage“ gezeigt, der Bürger Götz George, der anzeigte, oder der Bürger Brunner, der sich einmischte?

Die beiden Angeklagten in München haben keinen Migrationshintergrund. Hätten sie einen – hätte sich Brunner dann eingemischt? Die Polizei war ja informiert, der Anfangsstreit zwischen den Jugendlichen in der S-Bahn zog sich schon über mehrere Stationen hin, Brunner und andere Fahrgäste hatten bereits angezeigt. War der Bürgerpflicht also nicht Genüge getan? Warum sich noch extra persönlich einmischen? War das wirklich „Zivilcourage“? Oder nicht doch bloß eigene Kampfeslust, Streben nach öffentlicher Anerkennung?

Der Münchner Prozeß hat die Problematik, ja Kalamität und Fatalität der von vielen Seiten so sehr angemahnten „Zivilcourage“ voll ans Licht gebracht. Wer sich im Rechtsstaat, statt einen öffentlichen Gewaltexzeß anzuzeigen, selber ins Getümmel stürzt, macht sich strafbar. Doch es gibt natürlich auch das Gesetz gegen unterlassene Hilfeleistung. Wann bin ich Mittäter, wann unterlasse ich Hilfe? Das zu entscheiden, ist für zufällige Beobachter oder Passanten fast immer so gut wie unmöglich, steht im jeweiligen subjektiven Ermessen. Also mischt man sich lieber nicht ein.

Man muß da keineswegs ein Feigling sein, will nur nicht Hilfssheriff spielen, den legitimen Ordnungskräften nicht ins Handwerk pfuschen. Mit mangelnder „Zivilcourage“ hat das nichts zu tun. „Zivilcourage“ ist ein Begriff aus dem Geistesleben, der erst seit Achtundsechziger-Zeiten mit allerlei trübseligen Nebenklängen aufgeladen worden ist. Ursprünglich bezeichnete er nichts weiter als „Mut“, und zwar Mut in Friedenszeiten und in zweierlei Form. Es gab einen Mut, in Bedarfsfällen verbal tapfer für Recht und Gesetz einzutreten, und es gab einen Mut, der bestehenden Ordnung auch einmal öffentlich zu widersprechen, wenn man gute Gründe dafür hatte.

Heute werden die einfachen, klaren Begriffe „Mut“ und „Tapferkeit“ kaum noch gepriesen, vielerorts sogar verhöhnt, auch und gerade in ihren friedlichen Formen. Statt ihrer gibt es nun „Zivilmut“, eben „Zivilcourage“, wobei der Zusatz „zivil“ keineswegs Recht, Gesetz oder tapferes Beharren auf eigener Meinung bedeutet, sondern strammes Bekenntnis zu politischem Linkssein, etwa zu rabaukenhafter „Zivilgesellschaft“ (statt zu Staat und Gesetz) oder zu „Zivilreligion“ (statt zu Christentum und abendländischer Tradition).

In diesem Sinne starten die herrschenden linken Kräfte immer wieder Kampagnen für „Zivilcourage“, die von mächtigen Institutionen organisiert und finanziert werden. Die Bürger werden aufgefordert, sich gewalttätig in (gesetzlich durchaus zugelassene) politische Gespräche oder Demonstrationen einzumischen, sie zu „sprengen“, den Meinungsgegnern „die Faust zu zeigen“, „öffentlichen Widerstand zu leisten“, nämlich Skandal, Rabatz, „Tugendterror“ à la Robespierre zu erzeugen. Dies, wird suggeriert, sei die „wahre Zivilcourage“, und sie sei geradezu moderne Bürgerpflicht.

In dieser Form praktizierte „Zivilcourage“ erfordert natürlich keinen Mut mehr und keine Tapferkeit. Der Zivilcourage Leistende weiß sich geborgen im Zuspruch der Politik und der veröffentlichten Meinung, er kann sich gegebenenfalls auf billige Weise Ruhm und öffentliche Anerkennung verschaffen. Nur muß er achtgeben (siehe den Film mit Götz George), daß er in seinem Eifer nicht an Milieus gerät, die von der veröffentlichten Meinung gewissermaßen moralisch und justitiell freigestellt sind, zum Beispiel an Milieus mit Migrantenhintergrund. Denn dann kann aus einem Zivilcouragierten schnell ein Faschist werden.

Götz George in dem Film meint es immerhin ehrlich, will sich nicht als Hilfssheriff anbiedern. So realisiert er am Ende drei wichtige Einsichten. Erstens, die Polizei kommt nicht immer pünktlich und manchmal überhaupt nicht, und die Mühlen der Justiz mahlen in manchen Fällen überraschend langsam. Zweitens, man muß beim bürgerlichen Sichempören über unhaltbare öffentliche Sicherheitszustände genau aufpassen, daß man nicht in irgendwelche Fettnäpfchen tritt, es mit irgendwelchen Mächtigen verdirbt. Drittens, in puncto  Sicherheit ist es doch das Beste, sich eine private Pistole anzuschaffen.

Ein Blick über die Grenzen lehrt ohnehin, wie es demnächst auch bei uns kommen könnte. Es gibt viele Länder, wo der Frieden stiftende, dafür Gewaltprivileg beanspruchende Rechtsstaat nur noch Fassade und schlimme Karikatur ist, wo in Wahrheit Banden, Clans, „zivilgesellschaftliche “ Interessenverbände regieren und nur noch das brutale Recht des momentan Stärkeren gilt. Die biederen Bürger haben sich dort längst bewaffnet und ihre Wohnviertel eigenhändig zu wahren Verteidigungsburgen ausgebaut. Zur Polizei zu gehen, bringt da nicht nur den üblichen Ärger, sondern macht einen selber zum Terroropfer. „Zivilcourage“ heißt dort längst „Pistole im Schrank“. Schöne Zukunftsaussichten!

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