© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Gigantomanie in der Wüste und zur See
Energiepolitik: Milliardenprojekte für regenerative Stromerzeugung / Verweis auf Klimawandel beseitigt politische Hürden
Michael Howanietz

Ob das Windstromprojekt Seatec, der Saharasolarpark Desertec oder gar kosmische Sonnensegel – der jenseits des Jules-Vernes‘schen Utopismus angesiedelten industriellen Gigantomanie sind scheinbar keine Grenzen mehr gesetzt. Der Verweis auf „die schlimmen Folgen des Klimawandels“ öffnet die Taschen staatlicher wie privater Geldgeber und füllt die Auftragsbücher von Großkonzernen. Universitäten und Wissenschaftler freuen sich auf hochdotierte Forschungsaufträge.

Schon 2015 will EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) die ersten Megawatt solaren Wüstenstroms aus der Sahara via Mittelmeer nach Europa geleitet sehen. Ein kühnes Ansinnen, denn bislang hat lediglich Marokko, das 95 Prozent seiner Energie importieren muß, ernsthaftes Interesse angemeldet. Ob der erste Spatenstich wirklich schon 2013 erfolgen wird, wie der Desertec-Initiator Ernst Rauch vorige Woche in der Süddeutschen Zeitung verkündete, bleibt abzuwarten. Das Desertec-Projekt soll einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des EU-Ziels leisten, bis 2020 ein Fünftel des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen zu beziehen.

Während die erreichbaren Strommengen (von Tausenden Megawatt ist die Rede) noch Gegenstand der Spekulation sind, stehen die Mindestkosten mit 400 Milliarden Euro bereits fest. Pro Europäer müßten etwa 20 Quadratmeter Wüste mit Kollektoren bestückt werden, rechnen Projektbetreiber wie Siemens, RWE und Deutsche Bank vor. Wie und mit welchen Verlusten die gigantischen Energiemengen durchs Mittelmeer geleitet werden, ist hingegen noch ungeklärt.

Als vordergründig überseeisches Gegenstück fungiert Seatec, ein Projekt, das die Nordsee zum Kraftwerk umfunktionieren will. Ein riesiges Energienetzwerk soll Windturbinen an den Küsten Englands, Solarpaneele in Deutschland und Wellenkraftwerke vor Dänemark und Belgien verbinden. Wiederum würde der gewonnene Strom über unterseeische Leitungen transportiert, wenngleich die gigantischen Offshore-Windkraftparks weithin sichtbar aus dem Wasser ragten. Daß es – wegen des Widerstands gegen neue Stromleitungen – bislang nicht einmal möglich war, die vergleichsweise überschaubaren Windfarmen in Deutschland zu vernetzen, scheint die Planer nicht zu irritieren. Daß konservative Ökologen die energetische Zukunft hingegen in dezentraler Versorgung sehen, ebenso nicht.

Zur Abwendung der prognostizierten Klimakatastrophe sind aber noch weit gefährlichere Eingriffe in die Weltmeere geplant. Nach dem Bindungsprinzip wollten Wissenschaftler die Ozeane zum Zwecke der Algenzüchtung mit Eisen „düngen“. Die Pflanzen sollen das klimarelevante Kohlendioxid (CO2) binden und mit diesem auf den Meeresboden sinken, sobald sie absterben. Ein Experiment des deutschen Forschungsschiffes Polarstern begrub allerdings die daran geknüpften Hoffnungen, indem es nachwies, daß zum Zooplankton zählende Ruderfußkrebse die zum Phytoplankton gehörenden Kleinalgen fressen, ehe diese „klimawirksam“ werden können.

Kohlendioxid unter die Erde verpressen

Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hat vorgeschlagen, Millionen Tonnen Schwefeldioxid (SO2) per Schiffsartillerie in die Stratosphäre zu verbringen, um das einfallende Sonnenlicht zurückzuwerfen. Weil dies das irdische Wettergeschehen auf den Kopf stellen würde, Tiefdruckgebiete neue Wege einschlügen und sich Konstanten wie Monsun und Passatwinde veränderten, dürfte die Idee ähnlich unrealistisch sein wie die Vorstellungen des verstorbenen Atomphysikers Edward Teller, der Abermillionen kleiner Aluminiumballons in die Stratosphäre entschweben sah, um den Blauen Planeten gegen das Böse der Sonne abzuschirmen.

Forscher des britischen Rutherford Appleton Laboratory (RAL) wollen um Städte und Autobahnen künstliche Bäume pflanzen, um mit ihrer Hilfe CO2 abzuscheiden. Für ihr Air-Capture-Verfahren würde die Luft zunächst mit flüssigen Chemikalien wie Natriumhydroxid behandelt, die in weiterer Folge mit CO2 reagierten, welches unterirdisch gelagert würde – nach dem umstrittenen Prinzip des „Carbon Capture and Storage“ (CCS, JF 29/09). Die CO2-Abscheidung und -Lagerung soll nun durch ein CCS-Gesetz auch in Deutschland probeweise bis 2017 erlaubt werden. In den betroffen Landkreisen in Norddeutschland formiert sich erbitterter Widerstand gegen das riskante Vorhaben, Millionen Tonnen CO2 aus Kraftwerken unter die Erde zu verpressen.

Der Preis pro RAL-Kunstpflanze soll bei 20.000 Dollar liegen – echte Bäume könnten die Aufgabe der CO2-Absorption weit billiger erfüllen, bedürfen aber der Bewässerung. Der Weg mit der Natur ist zwar der gefahrlosere, aber daran ist nichts zu verdienen. Der Keim jeder Lösung liegt in der Ursache, nicht in der Wirkung. Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung sind einzudämmen, nicht durch aberwitzige Ablenkungsmanöver zu kaschieren oder gar politisch zu legitimieren.

Der Mensch ist als alleiniger Urheber der Erderwärmung unserer Tage bis dato keinesfalls überführt. Da er sich vordergründig Symptomen stellt, ohne seriöse Ursachenforschung zu betreiben, kollabiert im Zuge der Energie-Gigantomanie derzeit etwas anderes als das zum Vorwand des Jahrhunderts mutierte Klima: der gesunde Menschenverstand.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen