© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Argumentativer Stillstand
Neuer Streit um Homöopathie: Trotz umstrittener Wirkung eine sinnvolle Alternative für Patienten und Ärzte
Jens Jessen

Je geringer ein Anlaß ist, Streit zu provozieren, um so heftiger ist die Auseinandersetzung der Kontrahenten. So bricht alle Jahre wieder die Diskussion über die Notwendigkeit und Eignung von homöopathischen Heilmitteln aus. Dabei gibt es keine argumentative Weiterentwicklung. Vielmehr wird erneut auf den „unnötigen Ausgaben“ der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für „wirkungslose Mittel“ herumgeritten. Dieses Argument ist seit 2004 gegenstandslos. Bis zu diesem Jahr wurden homöopathische, anthroposophische und biochemische Präparate noch zu Lasten der GKV verordnet.

Sie verursachten für die Kassen 2003 etwa 28 Millionen Euro an Kosten. Die Gesamtausgaben für Arzneimittel betrugen hingegen 23,3 Milliarden Euro. 2004 sind diese Präparate aus dem Leistungskatalog entfernt worden. Die Krankenkassen haben 2009 lediglich noch 0,06 Prozent ihrer gesamten Arzneimittelausgaben für homöopathische Heilmittel aufgewendet. Wenn der Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, seine alten Vorwürfe gegen die Homöopathie immer wieder mit Kosten begründet und deshalb den Ausschluß homöopathischer Mittel als Wahlleistung der Kassen fordert, so ist das reiner Oppositionspopulismus.

Finanzielle Belastungen der Kassen vernachlässigbar

Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Barbara Sickmüller, kritisiert die Außerachtlassung der guten Erfahrungen Zehntausender Patienten in der von Lauterbach losgetretenen Diskussion. Da bis auf wenige Ausnahmen die Patienten homöopathische Mittel außerhalb von GKV-Wahltarifen selbst bezahlen müssen, sind die finanziellen Belastungen der Kassen im Verhältnis zu den gesamten Ausgaben für Arzneimittel zu vernachlässigen.

In diesem Zusammenhang verwundert besonders, daß es die rot-grüne Bundesregierung war, die Wahltarife für homöopathische Heilmittel einführte. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) kann der völligen Umkehr der SPD in dieser Frage nicht folgen. BPI und BHA sind sich darüber einig, daß die Präparate eine sinnvolle Alternative für Patienten und Ärzte sind. Für die Politik sollte sie kein Kostentreiber sein. Übrig bleibt das wohlfeile Argument, die Schulmedizin sei die einzig wahre Antwort auf Krankheiten und deren Heilung.

Natürlich kann die Schulmedizin darauf hinweisen, daß die von ihr verwandten Arzneimittel auf klinischer Ebene getestet sind und damit vorgeben, Sicherheit bei der Anwendung am Patienten in der Klinik und der Praxis des niedergelassenen Arztes zu gewährleisten. Die Patienten in Klinik und Praxis können jedoch keineswegs sicher sein, ob das bei ihnen angewandte Arzneimittel tatsächlich auch dem Bedürfnis des 80jährigen multimorbiden Patienten entspricht bzw. für die Anwendung an einem fünfjährigen Kind geeignet ist.

Erst 2005 ist beispielsweise mit der Kinderarzneimittel-Verordnung der Versuch unternommen worden, die pharmazeutischen Unternehmer durch Anreize und Auflagen zu veranlassen, vermehrt spezielle Zulassungen für Kinderarzneimittel zu betreiben. Das ist ein wichtiger Schritt zur gesicherten Versorgung der Kinder mit Arzneimitteln. Die Frage ist allerdings, wo die altersgerechten Probanden herkommen, denn Eltern werden sicher nur in den seltensten Fällen zustimmen, daß Arzneimittel an ihren Kindern ausgetestet werden.

Homöopathie ist „eine sehr empathische Methode“

Auffällig ist – gemessen am Anteil an der Bevölkerung – der hohe Anteil von Studenten bei klinischen Studien. Zumeist werden Studenten als Probanden für Studien gewonnen, so daß statistisch gesehen mehr als 60 Prozent der Probanden zwischen 20 und 30 Jahre alt sind. In dieser Altersgruppe finden sich üblicherweise auch viele gesunde Probanden, bei denen noch keine größeren Vorerkrankungen stattgefunden haben, was sonst bei vielen Studien zum Ausschluß führen würde.

Wenn 60 Prozent der Probanden zwischen 20 und 30 Jahre alt und zu 70 Prozent Männer sind, sinkt der Glaube an für alle Altersgruppen einzusetzende Arzneimittel rapide. Für unter 20jährige Frauen und über 50jährige Männer und Frauen hat es bisher nicht gereicht, Probanden entsprechenden Alters für Studien zu gewinnen.

Homöopathie-Kritiker wie Edzard Ernst, Professor an der Peninsula Medical School im englischen Exeter, kommen nach Auswertung von Vergleichsstudien zwischen Placebo und homöopathischen Globuli (Streukügelchen) zu dem Ergebnis: Die Globuli wirkten nicht besser als ein Scheinmedikament. Ernst preist statt dessen die Arzneimittel der Pharmaindustrie mit dem Hinweis, die alternative Behandlungsmethode berge große Gefahren, da sie nicht effektiv sei. Dies könne zu erheblichen Schäden bei den Patienten führen. Ernst gesteht im Spiegel aber immerhin zu, daß es die Schulmedizin nicht versteht, „das tiefe Bedürfnis der Patienten nach Zuwendung zu befriedigen“.

Die Homöopathie sei „eine sehr empathische Methode, eine Konsultation dauert oft länger als eine Stunde“. Es gebe sogar Hinweise darauf, daß diese Zuwendung – anders als die Globuli – durchaus eine Wirkung habe, und zwar „als eine besondere Form der Psychotherapie“. Wahrscheinlich vertrauen Patienten und Therapeuten der Wirksamkeit der Homöopathie eher als der vorgegebenen Sicherheit der Arzneimitteltherapie.

Aktuelles zur Naturheilkunde bietet der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte: www.welt-der-homoeopathie.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen