© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Stuttgart bürgert Hindenburg aus
Geschichtspolitik: CDU stimmt geschlossen für einen Antrag der Ökokommunisten und sammelt Lob ein
Michael Paulwitz

Wenn Linke erst mal am Säubern sind, entkommt so leicht keiner. Auch nicht Paul von Beneckendorff und von Hindenburg. Am vergangenen Donnerstag entzog der Gemeinderat der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart dem Feldmarschall des Ersten Weltkriegs und letzten Reichspräsidenten der Weimarer Republik die Ehrenbürgerwürde – 76 Jahre nach seinem Tode und 64 Jahre nachdem der erste Nachkriegs-Gemeinderat das Ehrenbürgerrecht Hindenburgs bereits für „durch seinen Tod erloschen“ erklärt hatte. In der vom abweichenden Votum des Republikaner-Stadtrats Rolf Schlierer ausgelösten Wortmeldungsrunde gerierten sich insbesondere Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) und die Unionsfraktion als willige Vollstrecker radikallinker Geschichtspolitik.

Die ökokommunistische Fraktion „SÖS/Die Linke“ genoß ihren Triumph und bedankte sich bei Schuster dafür, daß dieser ihren vor wenigen Monaten gestellten Antrag auf Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Hindenburgs prompt in eine Verwaltungsvorlage umgesetzt habe. Diese wurde mit 59 Stimmen gegen eine angenommen; einzig   Republikaner-Chef Schlierer weigerte sich, an dem von ihm so bezeichneten „feigen Kotau vor dem Zeitgeist“ teilzunehmen.

Einseitig, dünn und „wissenschaftlich nicht zu halten“ sei die Begründung der Vorlage des OB für die Verdammung Hindenburgs. Der habe sowohl dem „böhmischen Gefreiten“ bis zuletzt die Kanzlerschaft als auch Papen und Schleicher die Errichtung einer auf das Militär gestützten Präsidialdiktatur verweigert und Hitler erst ernannt, als er vor der Alternative stand, die Legalität zu verlassen und einen Bürgerkrieg zur riskieren oder aber die NSDAP als stärkste parlamentarische Kraft an einer Regierung zu beteiligen. Das könne man auch in der Biographie des Stuttgarter Ordinarius Wolfram Pyta nachlesen, auf die sich der Antrag berufe. Bekanntlich hat nicht Hindenburg die Weimarer Demokratie zerstört, sondern die radikalen Flügelparteien KPD und NSDAP mit ihren Bürgerkriegsarmeen SA und Rotfrontkämpferbund.

FDP enthält sich mit Blick auf Theodor Heuss

Ein Diskurs über die historische Bewertung Hindenburgs war freilich von den Initiatoren nicht erwünscht und kam auch nicht zustande. Hindenburg „hat die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten befördert“, behauptete der CDU-Stadtrat Jürgen Sauer und belegte damit vor allem, daß zumindest in Stuttgart geschichtspolitisch kein Blatt zwischen Union und kommunistische „Linke“ paßt. Lediglich der Redner der Freien Wähler argumentierte zwar differenziert und eher im Sinne Schlierers, wagte aber dennoch kein abweichendes Votum. Die FDP/DVP hielt sich zurück, zumal Schlierer ihr vorgehalten hatte, mit derselben Begründung könne man auch ihren Parteifreund Theodor Heuss aus der Ehrenbürgerliste streichen: Der nachmalige erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland hatte im März 1933 für das Ermächtigungsgesetz gestimmt.

Die Entscheidung fügt sich nahtlos in eine lange Reihe von politisch korrekten Umbenennungen von Stuttgarter Straßen, Wegen und Schulen. Die Initiative ging in den letzten Jahren meist von den Grünen aus; seit diese im Zuge des Protests gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ stärkste Fraktion geworden sind, scheinen die ebenfalls zu Fraktionsstärke gelangten Kommunisten diese Rolle zu übernehmen. Obwohl der Stuttgarter Gemeinderat erst seit einem Jahr eine linke Mehrheit hat, gab es auch vorher keinen nennenswerten „bürgerlichen“ Widerstand gegen die geschichtspolitischen Hegemoniebestrebungen von links. Lediglich in den Stadtbezirken fand der Protest betroffener Bürger gegen unsinnige Umbenennungen vereinzelt Gehör.

Nach der Streichung der Ehrenbürgerwürde, forderten die Ökokommunisten, müsse man nun Druck ausüben, um dem Generationen von Bürgern als „Hindenburgbau“ vertrauten Gebäudeblock am Hauptbahnhof seinen Namen zu nehmen. OB Schuster versprach den Linken, bei der Landesbank als Immobilieneigentümer erneut in diesem Sinne vorstellig zu werden. Der Säuberungsfeldzug kann also weitergehen.

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