© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Preußen – eine humane Bilanz: Eine Serie von Ehrhardt Bödecker / Teil 5
Erster Staat mit Religions- und Bekenntnisfreiheit
Ehrhardt Bödecker, Gründer des Brandenburg-Preußen Museums Wustrau, berichtigt gängige Preußen-Klischees / Auszüge aus seinem neuesten Buch

Der Kurfürst Johann Sigismund erbte im Jahr 1609 durch Heirat mit der Herzogin Anna von Preußen nicht nur Preußen, sondern auch das niederrheinische Herzogtum Kleve mit Mark und Ravensberg. Er trat zum Kalvinismus über. Im Gegensatz zu dem bis dahin geltenden Grundsatz „Cuius regio eius religio“ (wessen Gebiet, dessen Glaube) gestattete er seinen Untertanen freie Religionsausübung. Es war ein Akt der Menschlichkeit, den Menschen die Entscheidung, welcher Religion sie folgen wollen, ihren persönlichen Neigungen zu überlassen und sie nicht zum Glauben des Fürsten zu zwingen.

Religionstoleranz in Preußen als Modell für europäische Staaten

Dieser Zwang ging damals üblicherweise so weit, daß die Bürger gegen ihre innere Überzeugung den Glauben des Fürsten annehmen oder zumindest diesen Glauben im täglichen Leben praktizieren mußten. Der Zwang zum regelmäßigen Kirchenbesuch einer innerlich abgelehnten Religion war seelische Vergewaltigung. Eine Nichtbefolgung dieses religiösen Zwanges konnte leicht eine Denunziation durch neidische oder böswillige Nachbarn provozieren, was dann im schlimmsten Fall in einen Ketzerprozeß (Hexenprozeß) münden konnte. Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) bestimmte im II. Teil, Titel 11, Paragraph 2: Jedem Einwohner im Staate muß eine vollkommene Glaubens  und Gewissensfreiheit gestattet werden. Paragraph 4: Niemand soll wegen seiner Religionsmeinung beunruhigt oder sogar verfolgt werden.

Dieses Gesetz trat zwar erst im Jahre 1794 in Kraft, aber es beruhte auf den staatlichen Gegebenheiten, wie sie sich mindestens in den vorausgegangenen hundert Jahren unter den preußischen Königen entwickelt hatten. Darauf kommt es an. Auf diese Weise wurde Brandenburg der erste Staat, der seinen Untertanen Religions- und Bekenntnisfreiheit gewährte. Historisch stehen wir vor einem Wendepunkt in der europäischen Geschichte. Seitdem gehört die Religionsfreiheit zur Staatsräson des brandenburg-preußischen Staates, der mit dieser Regelung ein allgemeines Modell für die europäischen Staaten schuf. Früher oder später übernahmen sie alle diese preußische Glaubenstoleranz. Preußen wurde damit das europäische Vorbild für Religions- und Glaubensfreiheit. Friedrich der Große hat dann später an den Rand eines Berichts geschrieben: „Die Religionen müssen alle tolerieret werden, denn hier muß ein jeder nach seiner Fasson selig werden.“ Religionsfreiheit bedeutet Bekenntnisfreiheit, der Bekenntnisfreiheit folgt Meinungsfreiheit, aus dieser wiederum entsteht Rede- und Schreibfreiheit – Rechte, die für uns heute selbstverständlich sind. Die Diskriminierung anderer Religionen, insbesondere von der Kanzel, wurde im Allgemeinen Preußischen Landrecht (ALR), dem Gesetz Friedrichs des Großen, sogar gesetzlich verboten.

Salzburger Protestanten, Hugenotten, katholische Schlesier

Die Aufnahme von protestantischen Flüchtlingen, die in ihren Heimatländern Frankreich und Salzburg wegen ihres Glaubens mit dem Tode bedroht waren, gehörte ebenso zu den humanen Entscheidungen des preußischen Staates. Es waren Tausende von Menschen, die in Preußen eine neue Heimat fanden. Erinnert sei nur an die Bluthochzeit in Paris (Bartholomäusnacht) im Jahre 1572, in der auf Befehl König Karls IX. in Paris Tausende von Protestanten niedergemetzelt wurden. Der Befehl des Königs lautete, alle Hugenotten als Feinde der Krone zu vernichten. Die katholische Kirche in Spanien fand lebhafte Genugtuung an diesem Massenmord. Preußen setzte hier ein leuchtendes Signal der Menschlichkeit. Daran ändert auch nichts, daß Preußen die protestantischen Flüchtlinge aus Frankreich und aus Salzburg im eigenen Interesse gerne bei sich aufnahm. In Berlin auf dem Fridericianum, dem wichtigsten Platz des protestantischen Preußens und unmittelbar am Schloß gelegen – der Platz wird heute nach dem intoleranten sozialistischen Ideologen August Bebel benannt –, baute der König die katholische Hedwigskirche. Auch hierin wird die großzügige Religionstoleranz Preußens sichtbar.

Fortsetzung in der nächsten JF

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