© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

„Gegen die Seele“
Sachsen I: Rolle rückwärts beim Denkmalschutz
Paul Leonhard

Sachsen will seine Vorreiterrolle im Denkmalschutz aufgeben und zu den DDR-Standards einer Zweiklassengesellschaft bei Denkmalen zurückkehren. Das sieht der Entwurf eines Denkmalschutzgesetzes vor, den das Innenministerium erarbeitet hat. Danach sollen künftig nur noch „herausragende“ Kulturdenkmäler wie der Dresdner Zwinger oder die Meißner Albrechtsburg besonderen Schutz genießen.

Achtzig bis neunzig Prozent der zur Zeit erfaßten rund 100.000 sächsischen Denkmale hätten damit einen sehr begrenzten Bestandsschutz. „Konkret bedeutet dies, daß die glücklicherweise nach der Wende aufgehobene und höchst unselige DDR-Klassifizierung von Denkmalen unterschiedlicher Rangigkeit wieder eingeführt wird“, heißt es in einem Schreiben des Stadtforums Chemnitz: „Damit ist die sukzessive Zerstörung von angeblich weniger bedeutenden Denkmalen absehbar.“

Die Regierung lege die „Axt an die Wurzeln des sächsischen Denkmalschutzes“, kritisiert Karl-Heinz Gerstenberg, Parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Grüne im Landtag. Mit der Gesetzesnovelle würde Innenminister Markus Ulbig (CDU) eine über hundertjährige Erfolgsgeschichte der Denkmalpflege in Sachsen beenden. In Offenen Briefen an Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) warnen zahlreiche Vereine vor den verheerenden Folgen des Gesetzes: der Verband Deutscher Kunsthistoriker, der Internationale Rat für Denkmalpflege, die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, das Stadtforum Leipzig, der Freiberger Altertumsverein.

Proteste kommen auch von Archäologen. Denn Bodendenkmale sollen künftig auf die vor- und frühgeschichtliche Zeit beschränkt sein. An den heutigen Erkenntnissen zur Relevanz mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Altstädte und Ortskerne für das Geschichtsbild ziele dies völlig vorbei, kritisiert Professor Georg Satzinger, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker. Lehrstühle für Mittelalterarchäologie sowie zahlreiche Stadtarchäologen hätten den unschätzbaren Urkundenwert der vielfach unzerstörten Bodendenkmale unter Beweis gestellt.

Von „beängstigenden Nachrichten“ spricht Michael Petzet, Präsident des Internationalen Rats für Denkmalpflege (Icomos). Der Gesetzentwurf programmiere Entkernungen vor. Angesichts des Reichtums und der Fülle des sächsischen Kulturerbes sei es „in seriöser Weise kaum zu begründen“, welche Kulturdenkmäler aufgrund internationaler oder nationaler Empfehlungen als herausragend zu klassifizieren seien und welche nicht.

Petzet kritisiert auch den Zeitdruck, den der Entwurf aufbaut. Denkmalbegründungen müssen danach „bis spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes“ in abschließender Form vorliegen. Eine Forderung, der die mangels Fachpersonal nach der Verwaltungsreform überforderten Denkmalschutzbehörden nicht nachkommen können.

Aus Sicht des Innenministeriums handelt es sich dagegen um ein „modernes und bürgerfreundliches Gesetz“, das Genehmigungsverfahren vereinfache und für den Eigentümer betroffener Immobilien Erleichterung bringe. Praktisch bedeutet es aber die fast völlige Entmachtung des Landesamts für Denkmalschutz. Für die „zweitrangigen Denkmale“ würden künftig die Unteren Denkmalbehörden zuständig sein, die den Landkreisen oder kreisfreien Städten unterstehen. Damit entscheiden Landrat oder Oberbürgermeister nach eigenem Gusto, ob Kulturdenkmale erhalten werden. „Es ist doch wohl klar, daß ein Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde einer Stadt sich den Weisungen seines Vorgesetzten fügen muß, wenn dieser die Aufhebung des Denkmalstatus verlangt“, heißt es im Schreiben des Stadtforums Chemnitz.

Das konkrete Beispiel heißt Görlitz. Dort wurde der Behördenleiter in die Altersteilzeit geschickt, weil er sich gegen Abrißpläne von Oberbürgermeister und Innenminister stellte. Aufgrund ihres geringen Bekanntheitsgrades, ihrer stadträumlichen Lage oder ihres nicht vordergründig sichtbaren Wertes würden gerade Einzeldenkmale in der Stadt, Vierseithöfe und Umgebindehäuser auf dem Land den Schutz verlieren, sagt Gerstenberg. Was den Dresdnern ihr Zwinger sei, sei den Dippoldiswaldern eben ihre Postmeilensäule – beides sei für die steingewordene Geschichte des Landes wichtig, mahnt Gerhard Glaser, früherer sächsischer Landeskonservator. Werde der jetzige Entwurf Gesetz, dann „wird etwas gegen die Seele des Landes getan“.

Foto: Postmeilensäule im sächsischen Dippoldiswalde: Steingewordene Geschichte des Landes

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