© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Auf der Jagd nach dem schnellen Geld
Umweltschutz: Steigende Gewinnaussichten senken Hemmschwellen / Gefahr für Mensch und Natur
Michael Howanietz

Der Mensch macht seinem von Irenäus Eibl-Eibesfeldt verliehenen Namen als „das riskierte Wesen“ weiter zweifelhafte Ehre. Denn seit bald drei Monaten sprudeln aus dem Leck der untergegangenen BP-Bohrinsel „Deepwater Horizon“ jeden Tag bis zu neun Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko. Die kurzfristigen Folgen sind bekannt, die langfristigen Auswirkungen bislang unabsehbar. Anfangs hatte die BP-Führung gehofft, das Bohrloch bis Ende Juli verschließen zu können, denn am 27. dieses Monats muß der börsennotierte Konzern seine Quartalszahlen vorlegen. Und die dürften angesichts der milliardenschweren Entschädigungsforderungen den Investoren nicht gefallen. Die bisherigen Ausgaben für die Ölkatastrophe belaufen sich auf über drei Milliarden Dollar. Weitere 20 Milliarden Dollar will der wichtigste britische Konzern in einen US-Hilfsfonds einzahlen. BP halte es weiter für realistisch, Mitte August die Quelle zu versiegeln, „dies wäre der absolut allerbeste Fall“, erklärte eine Firmensprecherin vorige Woche in London. „Dann müßte aber alles hervorragend nach Plan verlaufen.“

Ölverschmierte Tiere und vergiftete Helfer

Daß sich der BP-Börsenkurs seit 19. April halbiert hat, freut die Konkurrenten. BP-Chef Tony Hayward suchte vergangene Woche im arabischen Raum neue Investoren, um so eine feindliche Übernahme des wichtigsten britischen Konzerns zu verhindern. Sogar über den Einstieg asiatischer Staatsfonds wurde spekuliert. Denn bei einer BP-Insolvenz würden nicht nur britische Pensionsfonds in Schwierigkeiten kommen, sondern auch der Staat einen potenten Steuerzahler verlieren.

Die ölverschmierten und dahinvegetierenden Tiere, die absterbenden Pflanzen und Hunderte Kilometer verseuchte Küstenabschnitte spielen bei solchen Überlegungen nur eine Nebenrolle. Die vergifteten Helfer, die wegen der eingeatmeten Dämpfe schon nach wenigen Stunden im Einsatz über Krankheitssymptome klagen und ersetzt werden müssen, sind nur in den lokalen US-Medien ein Dauerthema. Fischer und Anrainer am Golf von Mexiko stehen vor den Ölklumpen ihrer Existenz. Längst muß auch der „Sunshine State“ Florida mit dem Schlimmsten rechnen.

In Amerika sind es aktuell unverantwortliche Ölfördereinrichtungen in bislang offenbar unbeherrschbarer Meerestiefe von tausend Metern und mehr. Doch in Europa gibt es keinen Grund, überheblich auf die US-Amerikaner zu zeigen. Hierzulande sind es derzeit weniger spektakuläre, aber dennoch nicht zu unterschätzende Gefahrenpotentiale, die wohl erst nach Jahren ihre fatale Wirkung offenbaren.

Die industriefreundliche Zulassungsbehörde der USA, die Food and Drug Administration (FDA), warnt beispielsweise vor Chemikalien wie dem hormonaktiven Bisphenol A in Kunststoffen, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sieht derzeit keinen Handlungsbedarf (JF 19/10). Auch die in Nahrungsmitteln, Kleidung und Kosmetika verwendeten Nanopartikel haben bislang den Persilschein der Unbedenklichkeit.

Börsianer entdecken den Rohstoff Süßwasser

Warnungen des Umweltbundesamtes verhallen zwischen der Euphorie um das Elektroauto und dem Streit um Fördersätze für Wind- und Sonnenkraft. Doch die Folgewirkungen des zunehmenden Einsatzes dieser synthetischen Partikel, die tausendmal kleiner als der Durchmesser eines Menschenhaares sind, sind bislang unzureichend erforscht. Dennoch werden sie zunehmend ungehindert in Boden, Wasser und Luft eingetragen (JF 45/09).

Weltweit haben Konzerne und Börsianer den Rohstoff Süßwasser entdeckt. Das Investitions- und Spekulationsvolumen spielt in einer Liga mit Bankenrettungspaketen und Griechenland-Hilfe. Mit fortschreitender Verknappung der bedeutendsten Lebensgrundlage steigen die Gewinnaussichten und damit die Begehrlichkeiten potentieller Krisengewinnler. Die Auswirkungen der propagierten „Liberalisierung“ des Wassermarktes können nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch in England und Wales studiert werden: schlechte Wasserqualität, steigende Preise und rückläufige Versorgungssicherheit.

Aber die öffentlichen Kassen sind dank Finanzkrise leer, und die Instandsetzung maroder Leitungsnetze ist teuer. In dünnbesiedelten Regionen lohnt sie kaum und bleibt aus. In den USA veranschlagt die dortige Umweltbehörde den Investitionsbedarf in das Trinkwassernetz für die kommenden Jahre auf knapp 300 Milliarden Dollar. Ein drohendes Verlustgeschäft, das börsennotierte Unternehmen, im Unterschied zu dem den Gemeinwohl verpflichteten öffentlichen Betreibern, abzuwenden versuchen. In dichtbesiedelten Regionen winken den Wasserfirmen hingegen lukrative Monopolgewinne – Konkurrenz ist in diesem Bereich faktisch nicht möglich.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen