© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

„Korrupte Etablierte“
Frankreich: Nicht nur die L‘Oréal-Affäre, sondern auch Ex-Premier de Villepin bringt Präsident Sarkozy in Bedrängnis / Aufwind für Linke
Hans Christians

Die französische Innenpolitik ist in Bewegung gekommen. Im Fokus stehen Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Ex-Premier Dominique de Villepin. Das Tischtuch zwischen dem Einwanderersohn mit transatlantischen Ambitionen und dem adeligen Querkopf, der de Gaulles Unabhängigkeitskurs anhängt, ist seit den Präsidentschaftswahlen 2007 zerschnitten, als nicht Villepin, der einstige Kronprinz von Jaques Chirac, sondern Sarkozy das Rennen machte. Angefangen hat alles 2001, als der Verdacht aufkam, daß beim Verkauf französischer Fregatten an Taiwan Bestechungsgelder geflossen sind.

Untersuchungsrichter erhielten den anonymen Hinweis auf eine Organisation, zu der neben russischen Oligarchen auch französische Manager von Thomson oder Airbus gehören sollen. Sie hätten über die in Luxemburg ansässige Finanzzentrale Clearstream „Kommissionen“ für das Taiwan-Geschäft erhalten. Eine CD mit der Auflistung Hunderter von Geheimkonten bei Clearstream und ein Brief, in dem hochrangige Politiker bezichtigt werden, dort Geld gebunkert zu haben, machte die Runde.

Ein Name elektrisierte die Justiz: Nicolas Sarkozy, damals Minister für Finanzen und Wirtschaft. Die Vorwürfe stellen sich als falsch heraus, die Daten waren manipuliert. Sarkozy vermutete Villepin, damals Innenminister, im Dunstkreis der Verschwörer. Fortan ermittelten die Behörden gegen den Chirac-Vertrauten wegen des Verdachts der Denunziation. Der Weg für Sarkozy in das Präsidentenamt war frei. Doch Villepin wurde im Januar freigesprochen, passend dazu rutschten die Umfragewerte des Präsidenten in den Keller. Juristisch rehabilitiert (ein Berufungsverfahren läuft allerdings noch), ging Villepin die Offensive. Öffentlich und lautstark bekundete er seine Sorge um das Ansehen der französischen Politik.

„Undemokratische Machenschaften“

Er hob mit der République Solidaire (RS/„Solidarischen Republik“) eine eigene Formation aus der Taufe, die den Präsidenten und seine UMP in Bedrängnis bringen könnte. Das Gründungsdatum war bewußt gewählt: Zum 70. Jubiläum von de Gaulles „Appell des 18. Juni“ stilisierte sich Villepin als wahrer Nachfolger in der Linie des Gründers der Fünften Republik. 5.000 Anhänger jubelten Villepin zu, der sich über die Repressalien der ,,offiziellen Politik“ beschwerte und Sarkozy als Drahtzieher „undemokratischer Machenschaften“ ausmachte. Süffisant erklärte Villepin, die RS sei keine Partei im klassischen Sinn, wie Sarkozy gehört er weiter von Chirac formierten Union für eine Volksbewegung (UMP) an. Und der könnte er schweren Schaden zufügen.

Bereits acht Prozent der Franzosen würden Villepin ihre Stimme geben. Etwa 15.000 Mitglieder zählen die landesweiten „Fan-Clubs“, lose Zusammenschlüsse, die sich hinter Villepins vereinigt haben und Sturm laufen gegen das „verkrustete Parteiensystem“ und die „korrupten Etablierten“. Das alles erinnert frappierend an Silvio Berlusconi, der ab 1994 das italienische Parteiensystem aufmischte.

Am Sonntag unterlag der UMP-Kandidat Jean-Frédéric Poisson bei einer Nachwahl in einer Hochburg im Großraum Paris gegen die Grünen-Politikerin Anny Poursinoff – ein deutliches Signal für die Stimmung im Land und die Fallstricke des französischen Mehrheitswahlrechts. Zudem wird die französische Staatsspitze seit Tagen von einer Schwarzgeldaffäre um die L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt erschüttert.

Die 87jährige und ihr verstorbener Mann sollen Spitzenpolitiker aus dem Sarkozy-Umfeld jahrelang mit illegalen Spenden versorgt haben. Die Beweislage ist freilich dünn, und Parallelen zu der Clearstream-Affäre sind nicht von der Hand zu weisen. Sarkozy ging am Montagabend in die Offensive und wies während eines einstündigen Fernsehinterviews die Vorwürfe zurück.

Er wolle auch an seinem Arbeitsminister Éric Woerth festhalten, denn der sei „von jedem Verdacht reingewaschen“ und müsse Frankreichs Rentenreform bis zum Herbst umsetzen. Die Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 und Villepin könnten daher 2012 zu unfreiwilligen Wahlhelfern für die Sozialisten von Martine Aubry werden.

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