© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Kalter Heroismus
Kulturrevolution: Begegnungen mit dem Griechengeist
Sebastian Hennig

Jeder Fußbreit in Rom ist durchtränkt mit mythischer und historischer Aura. Aber nirgends wirkt diese so stark wie auf dem Kapitolshügel. Hier stapelte sich unsichtbar der Geist der Zeiten, und die Erfindungskraft der Baumeister verlieh ihm Gestalt. Die steile Treppe zu S. Maria in Aracoeli schritt als erster der Tribun Rienzi hinan, und auf der Stelle des Kirchenbaus thronte einst die Tiburtinische Sybille. Die andere, gemächlichere Treppe führt hinauf zum Konservatorenpalast und dem von Michelangelo mit der Reiterstatue Marc Aurels gestalteten Platz.

Als Papst Sixtus IV. 1471 eine Sammlung antiker Bronzen dem römischen Volk zugänglich machte, entstand damit eine der frühesten öffentlichen Kunstsammlungen, die in den Kapitolinischen Museen mündeten. Hier oben wurden die Fundamente eines der ältesten römischen Tempel aus tarquinischer Zeit ausgegraben. Auch eines der jüngsten europäischen Reiche, inzwischen ebenfalls mythisch geworden, repräsentierte sich einst auf dem Hügel: Im Palazzo Caffarelli mit dem gewaltigsten Panorama über die Ewige Stadt hatte erst der preußische, später dann der Botschafter des Deutschen Reiches seinen Sitz.

In dieser Saison erinnert die Ausstellung „L’età della conquista“ in den Musei Capitolini an die Anverwandlung des griechischen Habitus durch die stolzen Römer. In vier Abteilungen wird diese antike Kulturrevolution veranschaulicht: die Heiligtümer, die Ehrenmale, das Leben im griechischen Stil und der Totenkult.

Es war eine gegenseitige Unterwerfung, denn die Taktiker siegten zwar militärisch, beugten sich aber schließlich restlos unter den Lebensstil der Überwundenen. Der Preis der Ausdehnung, der Globalisierung des kaiserlichen Römertums bestand im Verlust der wenigen, aber markanten Urtugenden aus republikanischer  Zeit. Ein Staat aus Funktionären brachte keinen eigenen Stil hervor. Allenfalls in den Genres der Pastorale, des Porträt und des häuslichen Stilllebens verfügt Rom über eigene Bildprägungen – man denke an die hauswirtschaftenden Putten in der Casi di Vetti von Pompeji. In der Ausstellung ist ein Marmorrelief dieses Geistes aus der Münchener Glyptothek zu sehen. Ein Bauer mit Korb und geschultertem Bündel treibt einen Ochsen vor sich her. Daneben schiebt ein Baum seinen knorrigen Ast durch die Wölbung eines Tors.

Die Mehrzahl der Griechenwerke ist uns als Kopie römischer Zeit – zumeist von der Hand griechischer Bildhauer – überliefert. Die Begegnung mit dem Griechengeist, der zyklisch immer wieder dem europäischen Menschen als sein Ursprung naherückt, traf auch die spröden Römer wie ein Blitz. Anders als die äußerlich aufgenommene ägyptische Maskerade verwuchs die griechische Maske über die Jahre mit dem eigenen Gesicht. Aber die Bruchstellen bleiben bemerkbar. Die überlebensgroßen Darstellungen vornehmer Römer als unbekleidete Athleten wirken unverhältnismäßig. Die Gesichter blicken irgendwie angezogen, und gehen nicht auf in der heroischen Nacktheit der Leiber.

Die nervöse Spannung überzeugt als Büste oder im hieratischen Stadtbild, sie läßt sich aber keinem maßvoll bewegten Körper verbinden. Die römische Willenskraft hat den griechischen Dämon abgelöst. Der Heroismus bleibt kalt und rhetorisch. Erst mit dem Christentum kehrt das Geheimnis in die Mitte der Gesellschaft zurück. Der gefesselte und geschundene Marsyas, der Länge nach am Baumstamm herabgedehnt, scheint diese Wende anzukündigen.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde in der Via di San Gregorio, im Tal zwischen Palatin und Celio, der gut erhaltene Terrakotta-Schmuck eines römischen Tempels aus republikanischer Zeit entdeckt. Im Rahmen der Sonderausstellung wird er nun vor dem Publikum ausgebreitet, indem die Bruchstücke der Giebelgruppe in ihre ursprüngliche Beziehung zueinander gesetzt wurden. Der stehende Kriegsgott wird flankiert von zwei weiblichen Gottheiten. In Gegenwart der Götter wird ein Tieropfer vollzogen. Die Figuren sind zum ersten Mal in Rom griechisch gewandet.

Die Ausstellung nimmt nicht allein die Sonderfläche im Caffarelli-Palast ein, sondern zieht sich weit in die ständige Präsentation der Kapitolinischen Museen hinein unter Einbeziehung mancher Stücke aus der Dauerausstellung und den eigenen Depotbeständen, ergänzt um viele Leihgaben der bedeutenden Archäologischen Sammlungen von Kopenhagen, London, Paris, Palermo, Neapel. Der festliche Saal der Horatier und Curatier schrumpft in sich zusammen unter den dräuenden Blicken der Kolossalstatue einer männlichen Gottheit aus dem archäologischen Museum in Athen, den Fragmenten einer Muse und einer Athena aus der Zeit des Augustus.

Die Ausstellung „L’Età della Conquista“ ist bis zum 5. September in Rom im Palazzo Caffarelli täglich außer montags von 9 bis 20 Uhr zu sehen.

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