© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

CD: Neue Volksmusik
Angesagt
Michael Wiesberg

Übern Semmering“: So heißt das neue Album (Non Food Factory) der aparten Wienerin Agnes Palmisano, die sich einmal mehr, diesmal zusammen mit den Grazer Musikern von Viennart (Akkordeon, Klarinette, Kontragitarre und Gesang), dem „Wiener Dudler“ verschrieben hat, den sie selbst als eine „seltene und seltsame Mischung aus Jodler und Koloraturgesang“, als „Symbiose von Kunst und Natur“ beschreibt.

In Wien hat die Wendung „Übern Semmering“ – der Gebirgspaß Semmering verbindet Wien mit der Steiermark – eine ganz spezifische Bedeutung; sie bezeichnet ein Hinausschauen über den Tellerrand, womit die Intentionen dieses Albums trefflich beschrieben sind: Palmisano öffnet den „Wiener Dudler“ hier in Richtung Klassik und Moderne, vergißt aber auch nicht das Liedgut der Nationalsänger. Der Bogen, den sie schlägt, reicht von traditionellen Stücken wie der „Schintergruabn“ oder „D’Fischerhütten“ von Rudolf Kronegger über die „Pastorella dell’ Alpi“ von Gioacchino Rossini bis zum „Erlafsee“ von Franz Schubert, „Wer hat dieses Liedlein erdacht?“ von Gustav Mahler oder der „Mahnung“ von Arnold Schönberg.

Die gediegenen Arrangements sowie drei Kompositionen dieser hörenswerten CD jenseits aller Modeerscheinungen stammen von Viennart-Mitglied Helmut Stippich. Ausgangspunkt des Albums waren zwei Notenheftchen, die Palmisano zufällig entdeckte, wie sie im CD-Beiheft schreibt. Es handelte sich um die „Steyrischen Alpengesänge für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre von Carl Fischer“. Hierin findet sich jene „Symbiose aus Volksgesang und künstlerischer Überhöhung“, die in der Folge viele Nachahmer hervorbrachte, die das „österreichische Lied“ in alle Welt trugen – möglicherweise inspirierten die „Steyrischen Alpensänger“ auch den einen oder anderen klassischen Komponisten.

In ganz andere Gefilde führt die neue Einspielung „Bauern_tschäss (Power’n Jazz)“ des Südtiroler Herbert Pixner Projekts (Bogner Records). Pixner arbeitet seit Beginn der 1990er Jahre an seiner Interpretation der „Neuen Volksmusik“; anfänglich für seinen „Bauernjazz“ belächelt, hat er sich in der Zwischenzeit, so befindet jedenfalls die Süddeutsche Zeitung, „zu den kreativsten und angesagtesten Harmonikaspielern zwischen Po-Ebene und Untermain“ entwickelt.

Möglicherweise ist der Titel der Scheibe eine Reminiszenz an die Zeit, als seiner Musik eher abschätzig begegnet wurde. Musikalisch spannt das Trio – neben Pixner an der Steirischen Harmonika sind Katrin Aschaber an der Harfe und Werner Unterlercher am Kontrabaß zu hören – einen Bogen zwischen traditioneller,  alpenländischer und internationaler Volksmusik. Die Eigenkompositionen Pixners weisen vielfältige Einflüsse auf. Während „Komisch Pannonisch“ ungarische Inspirationen verrät, verweist „Tschango“ schon im Titel auf Django Reinhardt. Aber auch brasilianischer Bossa Nova („Black Orpheus“) oder Blues- und Jazzstandards sind zu hören.

Das alles wird so abwechslungs- und spannungsreich dargeboten, daß sich eine gewisse Enttäuschung darüber einstellt, daß die CD bereits zu Ende ist. Nach „Blus’n Auf“ ist Pirkners Album ein weiteres Schmankerl für alle Liebhaber der „Ziech-Musik“. Mit seinen Jazz- und Blues-Zitaten dürfte Pirkner diesmal aber über die Grenzen „Neuen Volksmusik“ hinaus Interesse erregen.

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