© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Szenen einer Ehe
Von Wildsäuen und Gurkentruppen: Die Scheidung ist nur noch eine Frage der Zeit
Paul Rosen

Im Bundestag gibt es, streng geheim, eine Art Kneipe, wo der gemeine Volksvertreter des Abends nicht nur ein Bier trinken, sondern auch seinen Frust gründlich von der Seele saufen kann. Kameras sind hier strikt verboten, Besucher verpönt, und generell gilt der Grundsatz von Nobelclubs: Wer noch nicht drin war, kommt auch nicht rein.

In dieser Bundestags-Bar nun soll es dem Vernehmen nach seit geraumer Zeit zu einem Absatzplus bei alkoholischen Getränken gekommen sein, das jeden Wirt an einen großen Aufschwung glauben lassen würde. Doch in Wirklichkeit spülen dort Abgeordnete der Koalition ihren Frust weg – über die einstige Traumehe von Union und FDP sowie die einstige Hoffnungsträgerin Angela Merkel, immerhin die erste Frau in Deutschland an der Regierungsspitze. Die Kanzlerin, wütete kürzlich ein Abgeordneter beim Bier, habe doch die Niederlage in den ersten beiden Wahlgängen der Bundesversammlung als höchst ärgerliche Störung ihres persönlichen Terminkalenders empfunden, aber nicht als Warnsignal einer erbosten Basis.

Der Mann hat recht. In der Koalition fehlt es am richtigen Umgangston, am Respekt voreinander. Wenn einer wie der Parlamentarische Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Daniel Bahr (FDP), Politiker der mitregierenden CSU als „Wildsäue“ beschimpft und deren Generalsekretär Alexander Dobrindt die Liberalen mit dem Konter „Gurkentruppe“ bedenkt und aus der CDU der Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) als „Rumpelstilzchen“ beschimpft wird, dann sind das Szenen einer Ehe, deren Partner nur noch nicht genau wissen, wann sie zum Scheidungsrichter gehen werden. Das „Ob“ steht schon gar nicht mehr zur Debatte.

Jeder beleidigt in dieser Koalition jeden, so gut er kann. Als FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle im Kabinett noch was zum Afghanistan-Einsatz sagen wollte, fällt ihm Merkel ins Wort und schließt die Sitzung. Die ganze Ministerrunde kann sehen, wie der Außenminister vorgeführt wird.

Der ist aber auch nicht ohne Biß: Nach dem ersten Wahlgang in der Bundesversammlung, bei dem sich angesichts der niedrigen Stimmenzahl für Christian Wulff ein Debakel für Merkel anzubahnen begann, sah man den Außenminister trotzig vor die Kameras treten und hörte ihn sagen, seine FDP trage keinerlei Schuld an diesem Ergebnis.

Schon vor der Versammlung hatte wiederum Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU), der Erbe Roland Kochs, öffentlich Orakel-Fähigkeiten gezeigt: „Wenn man eine so klare Mehrheit in der Bundesversammlung nicht nutzen kann, dann stellt sich die Frage, ob die Mehrheit überhaupt noch gestaltungsfähig ist.“ Wie gesagt, dieser Satz fiel vor und nicht erst nach der Wahl von Wulff.

Wie lange das „Finale in Berlin“ (Neue Zürcher Zeitung) noch dauert, ist im Unterschied zu einem Fußballspiel nicht abzusehen. Beide Seiten hauen drauf, was das Zeug hält. Merkels Angewohnheit, alle Befehle als Textmitteilung per Mobiltelefon zu übermitteln, nervt Union und FDP gleichermaßen. Denn die Funksignale kennen nur eine Richtung. Wer zum Kanzleramt simst, bleibt zumeist ohne Antwort. Geht es mal im direkten Gespräch zur Sache, ist die Stimmung kaum besser. Bei der Sparklausur sollten alle Minister berichten, wie toll sie einsparen. Westerwelle hatte zuvor in etlichen Interviews den Spargeist der Regierung beschworen. Als er mit seinem Bericht drankam, stellte der FDP-Chef laut Spiegel nur lapidar fest, er habe sich mit Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht auf konkrete Einsparmaßnahmen für das Außenamt einigen können. Die anderen Minister kochten.

Merkel, so beschreibt es der Kommunikationsexperte Hans-Hermann Tiedje in der Neuen Zürcher Zeitung, „erobert und verwaltet Macht, sie sichert sie ab, sie windet sich durch, so wie sie es in der DDR gelernt hat“. Windet und dreht sie einmal nicht, stößt sie andere vor den Kopf: den Wirtschaftsminister Reiner Brüderle etwa, der mit aller Kraft gegen das süße Gift Subvention für den Autobauer Opel kämpfte – und damit ausgerechnet als Kabinetts-Senior den ersten ordnungspolitischen Erfolg dieser Regierung errang. „Das letzte Wort ist nicht gesprochen“, beschied die Kanzlerin Brüderle, nachdem der die Subvention abgelehnt hatte. Welche Flanke sie damit öffnete, merkte Merkel erst, als die amerikanischen Chefs von General Motors plötzlich auf jede Subvention verzichteten und die mit der Milliarden-Gießkanne winkende Kanzlerin im Regen stehen ließen.

Um Milliarden geht es auch im Gesundheitswesen. Zum Verwalter des Ministeriums erkoren die Liberalen Philipp Rösler, einen jungen Aufsteiger, den barocke Bayern wie der Landesminister Markus Söder nicht ernst nehmen wollen. Die Bayern haben ohnehin nur ihre nächste Landtagswahl im Sinn, und CSU-Chef Horst Seehofer, Dobrindt und Söder schießen auf die Liberalen, wo sie können. Den ersten Platz beim Ärgern der Liberalen lasse er sich nicht nehmen, spottet Dobrindt.

Rösler, der weniger wie ein Gesundheitsminister wirkt, sondern mehr wie der Verkäufer einer Zusatzversicherungspolice gegen Leistungskürzungen bei den Krankenkassen, gehört aber zu einer jungen Truppe von FDP-Politikern, die das Parteibild zunehmend bestimmen – smarte Gestalten, der Großstadt verbunden, das szenische Leben genießend und im Zweifel schwul. Das alles ist für die schafskopfenden CSU-Gestalten im Obergeschoß der Berliner Parlamentarischen Gesellschaft oder biedere süd- und südwestdeutsche Christdemokraten zuviel des Guten. Dann lieber Opposition als mit denen regieren.

Selbst dem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, eher ein Mann der lauen Töne, wird Haß auf die FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger nachgesagt. „Der Volker“, zitierte der Spiegel einen unbekannten Abgeordneten, „kriegt schon Beklemmungen, wenn er mit Homburger in einem Fahrstuhl steht.“ Wie sollen auf dieser Grundlage Gespräche geführt werden? Heraus kommt dann so was wie der Sparkompromiß, bei dem jeder der anderen Seite möglichst viele Zumutungen ins Nest zu schieben versucht, während die eigene Bilanz mit Luftbuchungen geschönt wird. Von dieser Versammlung mediokrer Typen kann kein Land regiert, wohl aber zugrunde gerichtet werden.

Als der britische Schatzkanzler Sir Geoffrey Howe im November 1990 nach vielen Demütigungen durch die Premierministerin Margaret Thatcher zurücktrat, wies er darauf hin, daß in der Politik Stil und Substanz einander ergänzten und sogar zwei Seiten einer Medaille seien. In Berlin sind Stil und Substanz abhanden gekommen. Wir werden regiert von Frauen und Männern ohne Eigenschaften.

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