© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Niedersachsens Neo-Wulff
Ministerpräsident: McAllister eifert seinem Vorgänger in vielen Belangen nach
Christian Vollradt

Ich komme aus der Mitte der Gesellschaft und stehe für die Mitte der CDU!“ Der Vorhaltung, er gelte ja irgendwie als konservativ, entgegnet der frisch gekürte niedersächsische Ministerpräsident David McAllister in bester Merkel-Manier.

Vorbei also die Zeiten, in denen der heute 39jährige das liberale Establishment seiner Partei in Wallung brachte, indem er sich als Leser eines paläo-konservativen Magazins offenbarte („Ich bin Criticón-Abonnent“); oder in denen der Sohn einer deutschen Musiklehrerin und eines schottischen Militärbeamten der britischen Rheinarmee die Kampagne der Union gegen die doppelte Staatsangehörigkeit selbstironisch befeuerte („Die ist nicht erstrebenswert; ich weiß, wovon ich rede, ich habe sie nämlich“).

Im großen und ganzen ließ sich der Regierungserklärung am Donnerstag im Landtag zu Hannover entnehmen, daß der Neue die Fortsetzung des Alten mit anderem Gesicht ist und strikt auf „Weiter so“ setzt, nicht nur hinsichtlich des unverändert übernommenen Kabinetts. Das bedeutet in erster Linie ein Festhalten an der Haushaltskonsolidierung, die angesichts einer einzusparenden Summe von 1,3 Milliarden Euro noch zu manchem Kampf im öffentlichen Dienst führen wird. Kann man seine gefällige Äußerung, den nachwachsenden Rohstoffen gehöre die Zukunft, im Agrarland Niedersachsen noch als Richtung der Kernzielgruppe Bauernschaft zielend verstehen, so ist beim Thema Bildungspolitik die Abkehr von ursprünglichen CDU-Positionen überdeutlich. „Schluß mit diesem ständigen Schulstreit!“ und ein Ablegen der „ideologischen Scheuklappen“ forderte der frischgekürte Landesvater im Parlament.

Der Subtext dieser Botschaft: Wir sehen ein Festhalten an unserem Grundsatz, das dreigliedrige Schulsystem gegen die Gesamtschule zu verteidigen, als hinderlich im kommenden Wahlkampf an und werden programmatisch entsprechend „umsteuern“. Deutlicher wird McAllister in einem Interview: „Ich betrachte Gesamtschulen als wertvolle Ergänzung zum bestehenden Schulangebot.“ Angesichts sinkender Schülerzahlen dürfte aus der Ergänzung dann der Ersatz werden. Neben einigen Infrastrukturvorhaben – etwa dem Ausbau eines Containerhafens an der Elbemündung – hat Niedersachsens Spitzenmann das Thema „Integration von Menschen mit Migrationshintergrund“ zur Chefsache erklärt.

Vom Typ her mögen Wulff und sein Nachfolger gegensätzlich sein: Dem eher spröden Charme des bisherigen setzt der neue Ministerpräsident die Kumpelhaftigkeit entgegen. Wenn Wulff als Liebling der Schwiegermütter gilt, so stehen deren Töchter eher auf den smarten Halbschotten. Wulff ist der Aktenfresser, McAllister die Rampensau, die Parteitage und Schützenfeste zum Kochen bringt. Dem Abstinenzler mit dem Spaßbremsen-Image steht der Lebemann gegenüber, der sich bereits für seinen ersten Landtagswahlkampf einen Fahrer organisierte, weil er genau wußte, daß bei den sturmfesten Niedersachsen der Stimmenfang durch die Leber geht. Gern zitiert „Mac“ bei solchen Gelegenheiten den Ausspruch des verstorbenen niedersächsischen Unions-Urgesteins Wilfried Hasselmann, wonach der Biertrinker die Getreidepreise stützt. Und während Wulff sich meistens durchbeißen mußte und sowohl als Bundes- wie auch als Ministerpräsident drei Anläufe brauchte, flog McAllister der Erfolg scheinbar stets zu.

 Zu den vorrangigen Aufgaben des jüngsten Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik zählt zuerst einmal, die am Ende der Ära Christian Wulff in Schieflage geratenen Beziehung zwischen Staatskanzlei und CDU-Fraktion wieder auszutarieren. Eine dort angesiedelte „Opposition“ könnte ihm gefährlicher werden als SPD und Grüne im Leineschloß.

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