© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Schweigen der Wölfe
Studie: Euro-Rettungsschirm mit vertuschten Verfassungsbrüchen
Bernd-Thomas Ramb

Politiker lügen und tricksen – so die breite Volksmeinung. Machtversessene Politiker lügen sich dabei in die eigene Tasche, europaversessene ziehen dagegen anderen das Geld aus selbiger: soweit keine überraschenden Erkenntnisse. Auch der gigantische (aber immer noch zu kleine) Euro-Rettungsschirm mit Kreditzusagen von 750 Milliarden Euro gehört in diese Kategorie. Deutschland ist mit einem 148 Milliarden Euro schweren Haushaltsrisiko daran beteiligt.

In der Regel und im Idealfall dürfen Politiker nicht ungestraft lügen und betrügen, wenn sie dieser Taten überführt werden. So beruhigen prinzipiell die bereits eingeleiteten Verfassungsklagen gegen die dubiose Euro-Rettungsaktion. Die endgültigen Urteile liegen noch nicht vor, wenn auch die Eilanträge schnell abgeschmettert wurden.

Die bislang ablehnende Haltung des Bundesverfassungsgerichts basiert auf der – manche irritierenden – Argumentation, in der aktuellen Notlage des Euro dürfe rasches Handeln nicht behindert werden. Daraus sollte aber nicht geschlossen werden, daß bloße politische Eilbedürftigkeit jeden Verfassungsbruch rechtfertigt. Gründliches staatsrechtliches Überprüfen ist stets vorteilhaft, zumal in der Zwischenzeit sorgfältige Rechtseinschätzungen durchdacht werden können.

Zu diesen zählt zweifellos eine aufsehenerregende Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg, in der der Rechtswissenschaftler Thiemo Jeck zu dem Ergebnis kommt: „Der Euro-Rettungsschirm bricht EU-Recht und deutsches Verfassungsrecht.“ Bemerkenswert ist vor allem die Aufdeckung einer besonderen Variante politischer Trickserei: das Verschweigen verfassungsrelevanter Verabredungen. Klammheimlich werden Absprachen mit unbegrenzter und dauerhafter Wirkung getroffen, die deutschem und europäischem Recht widersprechen.

Noch schlimmer – es wird der öffentliche Anschein erweckt, die getroffenen Maßnahmen seien als Nothilfe nur vorübergehend und finanziell eingeschränkt beschlossen. Die Freiburger Studie deckt genau das Gegenteil auf: „Entgegen den Verlautbarungen in der Öffentlichkeit ist der finanzielle Beistand der Europäischen Union weder auf 60 Milliarden Euro noch auf drei Jahre beschränkt.“ In der entsprechenden EU-Verordnung Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzierungsmechanismus wurde eine entsprechende Einschränkung schlicht „vergessen“.

Im zweiten Teil des Euro-Rettungsschirms wurde die Kreditbürgschaft für finanzdebile Euro-Länder dagegen explizit auf drei Jahre begrenzt. Warum nicht die direkte EU-Hilfe? Einen weiteren Fall von Augenwischerei stellt die CEP-Studie in der angeblichen „Freiwilligkeit“ des finanziellen Kraftakts der Euro-Länder fest. Daran ändert auch die Kreditwäschehilfskonstruktion der eigens dafür gegründeten Zweckgesellschaft („Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“) nichts. Die organisatorischen Klimmzüge dienen allein der Umgehung des Bailout-Verbots, nach dem eine direkte finanzielle Unterstützung eines Euro-Landes durch andere ausdrücklich untersagt ist. Jedem Steuerzahler würde ein ähnliches Vorhaben als „Gestaltungsmißbrauch“ um die Ohren gehauen.

Die Rechtsstudie des CEP stellt überzeugend fest, daß die „Zweckgesellschaft“ trotz aller Freiwilligkeitsbeteuerungen den Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aushöhlt. Wenn er aber so leicht auszuhebeln ist, ist er wirkungslos. Fadenscheinig ist zudem die Begründung einer Ausnahmesituation, die eine Aufhebung des Artikel 125 rechtfertigen würde. Griechenland hat schlicht seine Staatsfinanzen nicht geordnet und scheut sich, die dementsprechend hohen Kreditzinsen zu zahlen. Das ist keine Naturkatastrophe!

Insbesondere bei der Gewährung direkter EU-Hilfen sehen die Freiburger Rechtsgelehrten gravierende Rechtsverletzungen. Erstens hätte das Europäische Parlament dem Vorhaben zustimmen müssen, weil dies seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zwingend vorgeschrieben ist. Dort aber blieb eine Klage auf Verletzung des EU-Rechts bislang aus – würde der Europäische Gerichtshof einer solchen Klage überhaupt nachgehen? Das CEP weist aber auch mit aller juristischen Deutlichkeit darauf hin: Die deutschen Vertreter im EU-Rat hätten niemals der EU-Hilfe zustimmen dürfen. Dazu fehlte ihnen die Legitimation durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat. Dies aber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Klage gegen den Lissabon-Vertrag eindeutig in solchen Fällen gefordert. Auch hier kamen die deutschen Abgeordneten – Einzelfälle wie Peter Gauweiler ausgenommen – bislang nicht auf die Idee, sich massiv dagegen zu verwahren.

Die Exekutive trickst, die Legislative kuscht, die Judikative wirkt paralysiert. Eine zukunftsträchtige Form der demokratischen Gewaltenteilung? Eher das Ende der Wahrung demokratischer Grundsätze und die Einleitung einer postdemokratischen Diktatur. Und für welchen Lohn? Bestimmt nicht für eine überzeugende Europäische Union und eine vertrauenswürdige Euro-Währung. In der tödlichen Stille, die die Wölfe verbreiten, wird es Zeit, daß die Schafe lauter denn je zu blöken beginnen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen