© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Schockstarre in Bangkok
Nach den Unruhen: Thailands Weg in die Normalität dauert an / Konflikt zwischen Rothemden und Gelbhemden wird weitergehen
Hinrich Rohbohm

Eine gespenstische Ruhe liegt auf der Sukhumvit Road, im Zentrum von Bangkok. Wo sonst zwischen den Hochbahn-Stationen Nana und Asok quirliges Leben herrscht, unzählige Verkaufsstände sich aneinanderreihen, Touristen sich mühsam durch Menschenmassen schlängeln und sich mit Souvenirs eindecken, herrscht gähnende Leere. Kaum ein Europäer ist zu sehen. Die Nacht bricht an. Bangkoks Bürger gehen eiligen Schrittes heim. Es ist Curfew-Zeit. Ausgangssperre. Um 23 Uhr müssen alle Geschäfte geschlossen sein. Eine Stunde später darf sich niemand mehr im Freien aufhalten. Wenige Tage nach den bürgerkriegs-ähnlichen Straßenschlachten zwischen regierungskritischen Rothemden und Militär steht Thailands Hauptstadt unter Schock.

Inzwischen hat sich die Lage normalisiert. Die Ausgangssperre ist aufgehoben. Doch der Konflikt geht weiter. Die Rothemden wollen jetzt aus dem Untergrund heraus operieren. Vor einem Monat noch war die Metropole am Chao Praya in dunklen Rauch gehüllt. Regierungsgegner der National United Front of Democracy Against Dictatorship (UDD), die sogenannten Rothemden, hatten Bangkoks Innenstadt in Brand gesetzt. In Südostasiens zweitgrößtem Einkaufszentrum „Central World“, dem Fernsehsender Channel 3 und der Börse loderten Flammen. Fast hundert Menschen starben bei den Unruhen, knapp 2.000 Verletzte sind zu beklagen.

Die Rothemden sind Anhänger des vor vier Jahren vom Militär aus dem Amt geputschten Ex-Premier Thaksin Shinawatra. Wochenlang hatten sie das Finanzviertel von Silom besetzt, brennende Barrikaden errichtet, sich Gefechte mit Soldaten geliefert. Ihre Forderung: Rücktritt der von den Gelbhemden dominierten Regierung und Neuwahlen. Premierminister Abhisit Vejjajiva lenkte ein, sagte Neuwahlen zu. Als weitere Forderungen kamen, zog er sein Angebot zurück und verkündete die Auflösung der Blockade. Notfalls mit Gewalt. „Viele hier in Bangkok haben Kritik an der Regierung geübt, weil sie erst so spät eingegriffen hat“, gibt Pilada wenige Tage nach den Unruhen die Stimmung zahlreicher Einwohner im Zentrum der Stadt wieder. Die Blockade habe der Wirtschaft Schaden zugefügt, erklärt die in Silom arbeitende Bankkauffrau.

Kaum etwas erinnert an die Straßenschlachten, die hier vor kurzem noch wüteten. Arbeiter reparieren die  Kanalisation, eine ältere Frau schrubbt mit Wasser und Seife Parolen der Aufständischen von der Fassade der Hochbahn-Station Ratchadamri, die noch stillgelegt ist. Pilada zeigt auf den Rasen vor einem Hotel. An einigen Stellen fehlt das Gras. „Hier“, so die 27jährige  weiter, „hatten die Protestler ihre Zelte aufgebaut“.

Die Rothemden seien schon im März angereist. Sie kamen aus den ärmeren Regionen des Landes, aus den umliegenden Provinzen von Chiang Mai sowie aus der im Nordosten gelegenen Rothemden-Hochburg Isaan. „Sie kamen mit Tanz und Musik, es herrschte so etwas wie Partystimmung“, sagt die Angestellte. Doch was friedlich begann, sollte sich in den kommenden Monaten zu einer blutigen Staatskrise entwickeln.  Am 19. Mai stürmen Regierungstruppen die Barrikaden der Aufständischen, schießen mit scharfer Munition auf Demonstranten. Unter anderem auf einen General, der aus dem Lager der Regierung in das der Rothemden übergelaufen war. Der ranghohe Offizier stirbt durch einen Kopfschuß.

„Man muß jetzt sehr vorsichtig sein“

„Der wußte zuviel“, ist Somchai überzeugt. Der 32jährige steht in der Nähe des Siam Centers. Dort, wo hinter Zäunen und Betonpfeilern der Hochbahn-Linie verkohlte Reste kleinerer Gebäude hervorragen. Somchai ist Anhänger der Rothemden. Statt rotem Shirt trägt er  ein Hawaii-Hemd. Die Spiegel-Sonnenbrille behält er auf, auch wenn gerade keine Sonne scheint. „Man muß jetzt sehr vorsichtig sein“, beginnt er zu erzählen. Den Schilderungen einiger westlicher Medien, nach denen Arm gegen Reich, Demokraten gegen Königstreue kämpfen kann er nicht zustimmen. „Das ist falsch. Auch ich verehre unseren König“, sagt er. Bei seinen Mitstreitern sei das ähnlich. Und natürlich gebe es auch arme Gelbhemden und reiche Rothemden. „Unter Thaksin hatten wir es besser“, sagt der aus dem Isaan stammende Mann. „Jetzt profitieren andere“, erklärt er.

Es ist der Kampf zweier kapitalkräftiger Machteliten. „Natürlich ist Geld im Spiel“, räumt Somchai ein. Eintausend Baht pro Tag hätten nicht wenige Protestler erhalten. „War das bei der Flughafen-Besetzung anders?“ fragt er. Damals, im Dezember 2008, waren es die Gelbhemden, die unter umgekehrten Vorzeichen demonstrierten und den Rücktritt des damaligen Premierministers, einem Schwager Thaksins, gefordert hatten.

Auch Klaus Sennik wundert sich über die verkürzte Arm-Reich-Berichterstattung vieler deutscher Medien. Sennik ist Manager des deutschen Spezialitätenrestaurants „Bei Otto“ in der Soi 20 an der Sukhumvit Road. 35 Jahre seines Lebens hat er in Südostasien zugebracht. Heute leitet er den achtzig Mitarbeiter umfassenden Gastronomiebetrieb. „Die Rothemden waren gut ausgerüstet“, erzählt er. Gewehre, Sprengstoff, Bomben. Die Geschäftsleute der Hauptstadt können die Vorgehensweise der Regierung nachvollziehen. „Wie würde man wohl in Deutschland reagieren, wenn Tausende das Berliner Regierungsviertel besetzt hielten, in das Kanzleramt von Frau Merkel eindringen wollten und Sprengsätze vor dem Parlament in Stellung bringen?“, hält Sennik vor Augen.

Als aber das Militär begann, gezielt auf Demonstranten zu schießen, kippte die Stimmung zugunsten der Rothemden. Bis zu den Bränden.

Ein schwarzes, häßliches Loch klafft jetzt im Einkaufszentrum Central World, in das sich das mit Sprengsätzen entfachte Feuer hineingefressen hatte. Kabel hängen wie Lianen herum, verbogene Stahlgitter ragen aus abgebrochenen Betonteilen heraus. Noch immer riecht die Luft nach Ruß und Rauch. Passanten bleiben stehen, machen Schnappschüsse von dem Malheur. Andere haben aus Anteilnahme Blumen vor dem Eingang abgelegt, beten für Frieden. Kaufhaus-Mitarbeiter stehen in einem mit rot-weißen Eisengittern abgesperrten Bereich. Sie werden von der Polizei durchsucht, ehe sie das Gelände betreten dürfen. „Wir machen eine Bestandsaufnahme, um zu sehen, was zerstört wurde, sagt eine Central-World-Verkäuferin der JF. Noch immer steht ihr der Schreck ins Gesicht geschrieben. „Zum Glück waren wir nicht im Gebäude, als das Feuer ausbrach“, bringt sie hervor. Mindestens zehn Menschen waren es. Ihre Leichen sollten später von der Feuerwehr gefunden werden.

Auch beim Fernsehsender Channel 3 in der Rama IV-Road sind Mitarbeiter zugegen, als die Wut einiger zündelnder Rothemden den Sender trifft. Sie flüchten auf das Dach des Maleenont Towers. Hubschrauber evakuieren sie aus der qualmenden Gefahrenzone.  Noch Tage später sind knapp dreißig mit Schutzwesten und Gewehren ausgestattete Polizisten vor dem Eingang des Gebäudes postiert. Die Brandanschläge haben die Stimmung erneut kippen lassen. Diesmal zugunsten der Regierung.

 „Together we can“ heißt deren Kampagne, durch die es nach Beendigung der Kämpfe zu einer großen Aufräumaktion in der Stadt kommt. Selbst Touristen legen Hand an. Thailand ist wieder ein Volk. Für diesen Moment. Auch wenn jeder weiß: Der Kampf zwischen rot und gelb wird weitergehen.

Foto: Bangkok nach den Straßenkämpfen: Während bewaffnete Polizisten den TV-Sender Channel 3 sichern (o.), Thais für den Frieden in ihrem Land beten (u.), offenbart das durch den Brandanschlag vollkommen zerstörte Einkaufszentrum „Central World“ das wahre Ausmaß des Konfliktes.

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