© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Berliner Tausendsassa
Nachruf: Zum Tod von Torsten Witt
Ronald Gläser

Über das Berliner Bürgertum wird oft gesagt, es sei provinziell und spießig, einer Hauptstadt kaum würdig. Das gilt insbesondere für die örtliche CDU, deren Personaltableau so zweitklassig ist, daß Spitzenleute immer wieder „importiert“ werden mußten. Dabei hat die Berliner CDU auch eigene Talente hervorgebracht, aus denen mehr, viel mehr hätte werden können.

Torsten Witt zum Beispiel. Der 1963 in Berlin geborene Journalist war ein Tausendsassa: Er besaß Charisma, war rhetorisch begabt und verfügte über ein ausgeprägtes taktisches Gespür. Die Kombination dieser Fähigkeiten ließ ihn Anfang der achtziger Jahre zu einer wichtigen Figur in der Berliner Schülerunion werden.

Aber Witt beschränkte sich nicht auf das parteipolitische Engagement. Der Zahnmedizinstudent war zugleich in etlichen Organisationen engagiert. Eigenen Schätzungen zufolge gehörte er zeitweise hundert Vereinen an. Als Landsmannschafter (L! Thuringia) war er im Coburger Convent aktiv und gründete 1986 sogar eine neue Schülerverbindung (PV! Borussia). Im gleichen Jahr hob er eine Kaderschmiede für konservative Nachwuchsjournalisten aus der Taufe, sein wohl wichtigstes Projekt. Sein Verband Junger Journalisten (VJJ) war einzigartig in Deutschland. Jeder Journalist in Berlin, der nicht links war, kannte Torsten Witt und seinen Verein – vom „echten“ TV-Reporter bis zum Schülerzeitungsherausgeber. Witts Sternstunden waren die von ihm organisierten Pressebälle Anfang der neunziger Jahre. 1992 hatte Angela Merkel die Schirmherrschaft übernommen.

Alles, was er in die Hand nahm, schien zu gelingen – nur in der Politik nicht. In der CDU sah er als Rechter keine Zukunft mehr und drehte ihr den Rücken. Er wechselte 1988 zur FDP, wo er zu der nationalliberalen Gruppe um Alexander von Stahl gehörte. Als der frühere Generalbundsanwalt 1998 scheiterte, hatte Witt die Partei schon wieder verlassen und sich dem Bund Freier Bürger angeschlossen. Auch dieses Projekt ging schief.

Sein Glück und sein Geschick hatten Torsten Witt verlassen. Auch die Geschäfte liefen seit einiger Zeit schlecht. Keine leichte Zeit für ihn, zumal er zeit seines Lebens sehr krank war und nun privat wie politisch vor einem Scherbenhaufen stand. Witt war aber auch ein Stehaufmännchen. 2005 organisierte er einen Coup, den nur jemand wie er fertigbringen konnte: Er eroberte mit Gefolgsleuten die Mehrheiten in gleich zwei Landesverbänden des Deutschen Journalistenverbandes (Berlin und Brandenburg). Dieser Machtwechsel konnte erst revidiert werden, als Torsten Witt wenig später einen Schlaganfall erlitt. Diesen letzten Schicksalsschlag hat er nicht mehr richtig verdaut. Zuletzt lebte er sehr zurückgezogen. Am 31. Mai ist er in Berlin verstorben. Die Beisetzung findet am 2. Juli statt.

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