© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Einäugiger unter Blinden
Die Sehnsucht ist verräterisch: Eine Retrospektive des fünfzig Jahre alten Alten Meisters Neo Rauch
Sebastian Hennig

Unmöglich ist es geworden, im Guten wie im Bösen, Neo Rauch gerecht zu werden. Dieser Maler ist redegewandt, und er äußert kluge Gedanken. Er besitzt die Fähigkeit, seine Situation zu durchschauen und zu kontrollieren. Aber alldem entspricht keine Unmittelbarkeit und Entschiedenheit seiner künstlerischen Hervorbringungen. Soviel Reflexion sollte doch vielleicht in einem Sprung zu großartiger Einfachheit führen, statt dessen begegnet einem in den gerühmten Bildern nur verwickelte Gewaltsamkeit.

Es riecht in der Ausstellung nach Ölfarbe. Aber lediglich ein Zehntel der Bilder im Leipziger Museum läßt auf einen genuinen Maler schließen. So „Theorie“ (2006), auf dem Schattenmassen und irrlichternde Reflexionen dann doch einmal geordnet sind. Auch die konsequent ausgewogene Unruhe von „Scheune“ (2003) sticht hervor. Aber der überwiegende Rest läßt jeweilige Bilderfindung vermissen. Überall die gleichen Handwerkstricks. Rauch phantasiert die Szenerien freihändig aus dem Pinsel oder Stift – allerdings mit dem Ergebnis, das sie dann meist auch wie überdimensionierte Kritzeleien wirken.

Andererseits ist es eine Malerei, die eigens zum Zweck hervorgebracht scheint, reproduziert zu werden. Durch die Glätte des Drucks wird nämlich die flüchtige Unruhe und die mangelnde Festigkeit in den Tiefen gestillt. Diese Bilder funktionieren literarisch, so wie manche Erfolgsschriftsteller ihre Romane schon drehbuchartig verfassen, um die Kino-Auswertung zu begünstigen.

Die Bilder aus den neunziger Jahren, zum Beispiel „Sonntag“ und „Mittag“, erscheinen insgesamt weniger gegenwärtig als die schrillen Traumfängereien aus jüngerer Zeit. Aber das Reduzierte an ihnen ist in seiner kreidig-fahlen, artifiziellen Art ausgewogen und schlüssig.

Der Weg des Malers vollzog sich geradlinig in genauer Parallele zur Zeitstimmung. Ende der achtziger Jahre war der 1960 in Leipzig geborene Rauch ohne Umschweife und zeitraubende Experimente einer der zornigen jungen Männer, die einen gestischen Neoexpressionismus pflegten. Stilsicherer und handwerklich fundierter als das Expressionismus-Placebo der westlichen „Neuen Wilden“, aber ebenso kokett und äußerlich. Wenn sie auch gelegentlich einmal angezählt wurden, diente die kultivierte Rebellion der Hochbegabten als Argument für kulturpolitische Großzügigkeit im deutsch-deutschen Wettstreit um die beste aller Welten.

In der offiziellen Begleitmappe „118 Werke 118 Betrachtungen“ zur X. Kunstausstellung der DDR widerfährt dem Ölbild „Ohne Titel“ (1987) des 27jährigen Rauch die Ehre einer eingehenden Besprechung. Die Kunsthistorikerin Gunhild Brandler schreibt in nachsichtig-anbiederndem Ton: „(…) cool bezeichnet sich diese Generation selbst. (…) Nichts ist provokatorisch in der Form, kein Bruch, kein Infragestellen der traditionellen Malerei, wie sie sich in der Nachfolge Bernhard Heisigs in Leipzig entwickelte. Nur manches erscheint einfach ungeklärt im Gestalterischen und in der Durchbildung. Neo Rauch gehört zu den Künstlern, die gerade erst ihr Studium absolvieren.“

Diese persönliche Prähistorie will der Künstler nicht mehr gelten lassen. Dabei ist das Ungeklärte ein Grundproblem seiner Malerei geblieben. Rauch gehört einer Generation an, für die die Lehre in Ost wie West seit den achtziger Jahren intellektuelle Strategien und Vermarktung über Formprobleme stellte. Im gesamtdeutschen Kunstbetrieb fungiert Rauch als Einäugiger unter Blinden. Die wenigen Normalsichtigen in Mitteldeutschland blinzelten um 1989 nur für kurze Zeit in den lichten Tag, dann wurden sie durch die Gegebenheiten wieder in die Höhle ihrer Wirkungslosigkeit zurückgetrieben.

Erst rettete sich Rauch in artifizielle Bildwelten. Dieses gemalte Bastelbogen-Theater war in sich stimmig. Alsdann schickte sich der gewiefte Künstler mit Hilfe eines dreisten Maklers an, dem unbedarften Publikum den Rubens vorzuspielen. Die Bilder verlassen nun die illustrative Fläche und schwellen wie Pilze zu scheinbarer Räumlichkeit an. Die Ungeklärtheit bleibt.

Wo der Maler, folgerichtig aus den Versatzstücken seiner Figuration, ein Gelenk anbringen müßte, da wird es nun surreal. Ein Selbstbildnis „Rauch“(2005) zeigt den Maler als Rockabilly-Musiker. Die klobige, unmalerische Hand kneift in das Griffbrett der elektrischen Gitarre wie in ein Daunenkissen. Ist „Surrealismus“ etwa ein Fremdwort für eine Spielart unfreiwilliger Komik? Den Apologeten antiquierter Kunst-Theorien lodern fast verglommene Hoffnungen zu neuer Flamme auf. So deklinierte Werner Spies mit großer Genugtuung die surrealistisischen Symptome des Rauch’schen Œuvre.

Ist Surrealismus etwa ein Fremdwort für Komik?

Die Ismen sind in der Kunst, was in der Medizin Penicillin, Aspirin und Cortison sind. Was den schwerfälligen Elaboraten des Leipzigers von der unbekümmerten Kasperhaftigkeit eines René Magritte und der zynischen Vitalität eines Salvador Dalí abgeht, macht seine Bilder reizloser, spricht aber für ihn als Menschen. Fraglos nimmt er die Malerei noch ernst, wenn er es auch in ihr nicht weiter bringen kann, als es die allgemeine Misere zuläßt.

Dieses ungebrochene Verhältnis zu Formen, die man nicht mehr ausfüllen kann, ist Erbteil des humanistischen Kulturgehabes der DDR und zugleich Sehnsuchtsziel der Alt-BRD-Intelligenzia. Narkotisch wirkt der Tannenduft, den Durs Grünbein, Uwe Tellkamp und Neo Rauch in ihren Laboren destillieren, auf solch ausgehungerte Kundschaft. Deren Sehnsucht ist verräterisch. Und was nicht von selbst bleiben will, stiften die spekulativen Sammler. Deren Leihbereitschaft ermöglichte die Ausstellungen, und die so erreichte Museums-Nobilitierung bestätigt wiederum den Wert ihrer Kunstmarkt-Investitionen. So funktioniert das. 

Die Ausstellung ist bis zum 15. August im Leipziger Museum der bildenden Künste, Katharinenstr. 10, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 12 bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / 2 16 99-914. Internet: www.mdbk.de

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