© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Riesenfische
Nach der Sintflut: Dresdner Albertinum wiedereröffnet
Paul Leonhard

Mit atemberaubenden Eröffnungen feiern die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) ihr Jubiläumsjahr. „Zukunft seit 1560“ heißt das Motto, unter dem Kunstfreunde aus aller Welt in die Stadt an der Elbe gelockt werden: im März die Eröffnung der „Türckischen Cammer“ im Residenzschloß (JF 10/10), im April die Jubiläumsausstellung, im Mai Ausstellungen über Meißner Porzellan und Meisterwerke europäischer Porzellankunst und jetzt am vergangenen Wochenende die Wiedereröffnung des seit 2006 geschlossenen Albertinums auf der Brühlschen Terrasse als „Museum der Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart“. Das ehrwürdige Gebäude ist saniert, umgebaut und modernisiert worden und zeigt künftig zwei Sammlungen: die Skulpturensammlung und die Galerie Neue Meister.

Anlaß für die Neukonzeption war das Jahrhunderthochwasser der Elbe 2002. Nur durch den Einsatz zahlloser Helfer konnten damals wertvolle Gemälde, Skulpturen und Dokumente rechtzeitig geborgen werden. In den Kunstsammlungen spricht man heute von der „größten Kunstrettungsaktion zu Friedenszeiten“. Der Schock, als Wasser in die unterirdischen Depots drang und die kostbaren Kunstgüter zu zerstören drohte, saß nicht nur bei SKD-Generaldirektor Martin Roth tief.

Was folgte, war eine Hilfsaktion von 46 deutschen Künstlern, die Werke für den Bau eines neuen Depots spendeten. Insgesamt 3,4 Millionen Euro betrug der Erlös der Auktion. Zu den Spendern gehört auch der in Dresden geborene Maler Gerhard Richter. Der Weltstar hat im Albertinum nun zwei eigene Räume erhalten, in denen 42 abstrakte Hinterglasmalereien und ein Glasscheibenobjekt sowie ein Dutzend Gemälde zu sehen sind. Ist Richter „der wohl dickste Fisch im Ozean der Malerei“, wie die Dresdner Morgenpost schreibt, so schwimmen zwei andere Riesenfische aus Sachsen im Meer des internationalen Kunstmarkts wie im lokalen Zierteich des neuen Albertinums. Gemeint sind Georg Baselitz, geboren 1938 in Deutschbaselitz bei Kamenz, und der Dresdner A. R.  Penck, der zur Zeit in Irland lebt. Beide erhalten ebenfalls einen Raum.

Auch architektonisch ist das Albertinum ein Kunstwerk geworden. Dem Berliner Büro Staab Architekten ist es gelungen, die Substanz des im Stil der italienischen Hochrenaissance errichteten Gebäudes zu erhalten, indem sie über dem Innenhof der Vierflügelanlage aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine rund 2.700 Tonnen schwere Stahlkonstruktion schier schweben lassen – ein zweigeschossiges Brückengehäuse mit 3.450 Quadratmetern Platz für Tausende von Bildern der beiden Galerien Alte und Neue Meister sowie die Restaurierungswerkstätten.

Mit der Umgestaltung des Monumentalbaus von 1884/87 hat sich die Fläche für die Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts vervierfacht. Nachdem die beiden letzten Gastmuseen – das Grüne Gewölbe und das Münzkabinett – in das Residenzschloß zurückkehren konnten, teilen sich die Galerie Neue Meister und die Skulpturensammlung das Haus.

Letztere ist untrennbar mit dem Albertinum verbunden. 1891 eröffnete hier die Abgußsammlung, 1894 die um zeitgenössische Plastik ergänzte Sammlung der Originalbildwerke. Sechs Jahre später galt die stetig erweiterte Skulpturensammlung als weltweit einzigartiges Museum zur Geschichte der Plastik. Entsprechend dem neuen Konzept wird die Sammlung antiker Skulpturen künftig in der Osthalle der Semper-Galerie des Zwingers zu sehen sein, während das Albertinum Werke der klassischen Moderne und der Skulptur nach 1945 zeigt. Zu bewundern sind Werke von Auguste Rodin, der neue Darstellungsformen ausprobierte, aber auch Arbeiten von Max Klinger, Wilhelm Lehmbruck, Fritz Cremer Wieland Förster und Werner Stötzer.

Die „Neuen Meister“ beginnen in Dresden mit Caspar David Friedrich, einem Vorreiter der Moderne. Nach 1843 wurden für die Gemäldegalerie Alte Meister auch zeitgenössische Gemälde gekauft. Im 20. Jahrhundert lag der Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Dresdner Malerei und der internationalen Avantgarde. Durch die Aktion „Entartete Kunst“ verlor die Sammlung in der NS-Zeit 56 Werke, darunter Bilder von Edvard Munch, Max Beckmann und Emil Nolde. Die Geschichte der Galerie Neue Meister als eigenes Museum im Albertinum beginnt 1965 nach der Rückkehr der Dresdner Kunstschätze aus der Sowjetunion.

Der Bogen der Sammlung spannt sich über Romantiker wie Carus, Dahl, Ludwig Richter, französische und deutsche Impressionisten wie Monet, Degas, Liebermann, Slevogt, Expressionisten wie Otto Dix, die Brücke-Künstler Kirchner und Schmidt-Rottluff bis zu Vertretern der Dresdner Sezession wie Kretzschmar und Lohse. Der Rundgang endet bei A. R. Penck, Georg Baselitz und Gerhard Richter.

Völlig neu ist der Bereich „Kunst im geteilten Deutschland/Kunst nach 1989“. Hier werden Künstler der DDR und der BRD wie Tübke, Mattheuer, Polke, Fruhtrunk, Tadeusz beziehungsweise mittel- und westdeutsche Künstler wie Havekost, Rauch, Knobloch gegenübergestellt. „Die Probleme der gegenwärtigen Welt in der Kunst gespiegelt, vertieft und gebrochen wieder neu zur Diskussion zu stellen“, ist die Aufgabe des Albertinums. Ob sich damit Touristen locken lassen, wird die Zukunft zeigen.

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