© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/10 25. Juni 2010

Gipfel der Augenwischer
EU: Der Marsch in Richtung Zentralismus und Dirigismus geht weiter / Finanzkrise als Beschleuniger
Michael Paulwitz

Der letzte EU-Gipfel unter spanischer Ratspräsidentschaft blieb trotz der dramatischen Euro-Krise vergleichsweise unspektakulär, denn das von manchen schon befürchtete „Spanien-Rettungspaket“ mußte vorerst nicht geschnürt werden. Dennoch ist die Bilanz wenig erfreulich: Die EU geht weiter in Richtung Zentralismus und Dirigismus.

Vor allem Frankreich setzte sich mit seiner seit langem verfolgten „Wirtschaftsregierung“ im Endeffekt weitgehend durch. Zwar wurde nicht, wie von Präsident Nicholas Sarkozy gewünscht, eine solche im Rahmen der Gruppe der 16 Euro-Staaten formell institutionalisiert; doch auch die von Deutschland schließlich zugestandene Wirtschafts- und Finanzkoordination auf der Basis aller 27 EU-Staaten wird die Subsidiarität weiter aushöhlen (JF 25/10).

Insbesondere das Vorhaben, die Haushaltsentwürfe der einzelnen Mitgliedstaaten künftig noch vor der Einbringung in die Parlamente der Brüsseler EU-Kommission vorlegen zu lassen, kommt einer weiteren Abwertung nationaler Institutionen gleich. Ob die im Zwischenbericht des EU-Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy zur Reform des Euro-Stabilitätspakts vorgetragenen Maßnahmen für automatische scharfe Sanktionen gegen Haushaltssünder Wirklichkeit werden, steht unter dem Vorbehalt einer derzeit unwahrscheinlichen Änderung der EU-Verträge.

Die Euro-Zone, deren Erweiterung durch den Beitritt Estlands Anfang 2011 ebenfalls abgesegnet wurde, bleibt – trotz der in Brüssel vorgetragenen Bekenntnisse zur Haushaltsdisziplin – ein Währungsraum mit widerstreitenden Auffassungen. Die zur Beruhigung der wegen Spanien besorgten Märkte beschlossene detaillierte Veröffentlichung von „Streßtests“ an 30 europäischen Großbanken gilt unter Finanzexperten als Augenwischerei, da etwa die besonders gefährdeten spanischen Sparkassen noch gar nicht getestet wurden und die Auswirkungen des Wertverfalls europäischer Staatsanleihen seit der Griechenland-Krise noch nicht abgefragt wurden.

Das zweifelhafte Instrument einer „Bankenabgabe“ zur Prävention künftiger Finanzkrisen soll nach der absehbaren Ablehnung auf dem G20-Gipfel auf EU-Ebene „geprüft“ werden. Die Tschechei und Großbritannien stellen sich allerdings gegen einen Alleingang. Auch bei der sicherlich alle Bankkunden und nicht nur etwaige „Spekulanten“ belastenden Finanztransaktionssteuer (Tobin-Steuer), deren Erträge bereits im „Sparpaket“ der Bundesregierung eingepreist sind, kam nur ein Formelkompromiß zustande: Sie soll den G20 zur „Erkundung und Entwicklung“ vorgelegt werden, wo sie ohnehin breiter Widerstand erwartet.

Parallel zu den USA hat der EU-Gipfel Iran-Sanktionen beschlossen, die deutlich schärfer als die kürzlich vom  UN-Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen ausfallen. Das geht vor allem zu Lasten der deutschen Exportwirtschaft. Von der ebenfalls vereinbarten Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island dagegen dürfen vor allem britische und niederländische Anleger neuerliches Entgegenkommen bei ihren bereits von den Isländern in einer Volksabstimmung abgelehnten hohen Entschädigungsforderungen wegen des Bankenkrachs auf der Atlantikinsel erwarten (JF 17/10).

Wie im 1989 kollabierten bürokratischen Planwirtschaftssozialismus folgt auch bei der EU auf einen nicht erfüllten Zehnjahresplan unverdrossen gleich der nächste: Die sogenannte Wachstumsstrategie „Europa 2020“, die den erfolglosen „Lissabon-Prozeß“ ablösen soll, gibt etwa Planzahlen für die Bekämpfung von Armut, Arbeitslosigkeit und Bildungsdefiziten und für die Steigerung von Forschungsausgaben vor. Auch die noch vor der Krise beschlossenen Planziele für den sogenannten Klimaschutz werden unverändert fortgeschrieben.

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