© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Wieder nur Indizien gegen den Belasteten
Auch Christian Plögers Annäherung an Paul Karl Schmidt alias Paul Carell bleibt in Mutmaßungen stecken
Karlheinz Weissmann

Christian Plögers Buch  ist das zweite, das in relativ kurzem Zeitabstand über Paul Karl Schmidt alias Paul Carell erschienen ist. Das erste hat Wigbert Benz (Paul Carell: Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945) 2005 veröffentlicht. Plöger stattet Benz im Vorwort Dank für die Unterstützung ab, und auch sonst ergänzen sich beide Autoren harmonisch: Plöger wie Benz haben den – gescheiterten – Versuch unternommen, die Biographie Schmidt-Carells zu rekonstruieren, ohne auf nennenswerte Quellenbestände zurückgreifen zu können. Entsprechend groß ist die Zahl der Mutmaßungen, entsprechend klein die Zahl der Fakten, beide lassen sich von ihren vorgefaßten – negativen – Meinungen leiten und beiden fehlen die notwendigen Kenntnisse der deutschen Politik- und Geistesgeschichte, um wenigstens eine sachgerechte Einordnung dieser Figur in ihren historischen Kontext vorzunehmen.

Im Fall Plögers ist der zuletzt genannte Mangel schon im ersten Teil, der sich mit den frühen Jahren Schmidt-Carells befaßt, deutlich zu erkennen. Der Verfasser hat kein Verständnis für die chaotischen Umstände der Jahre 1933 und 1934 und das Gegeneinander der verschiedenen Strömungen innerhalb des Nationalsozialismus. Daher wird nirgends erkennbar, welches ideologische Profil die von Schmidt-Carell geführte Kieler Studentenschaft ausbildete, welche Bezüge offensichtlich zu Alfred Baeumlers Konzept von „Männerbund“ und „Männerhaus“ bestanden und wieso seine Sympathie für Heideggers Plan einer totalen Umgestaltung der deutschen Universität (Schmidt-Carell gehörte zu den Teilnehmern von Heideggers „Lager“) weniger machtpolitischen Erwägungen als einem studentischen, in diesem Fall eben: nationalrevolutionären, Radikalismus geschuldet war.

Das in die Betrachtung einbeziehend, erscheint Schmidt-Carells rasche Abwendung von seiner Funktionärstätigkeit und Konzentration auf die Möglichkeit, in den neuen Institutionen Karriere zu machen, wesentlich verständlicher. Plöger hantiert zur Deutung zwar mit dem Begriff „Generation der Unbedingten“, aber er versteht das Spezifikum in der Haltung jener Altersgruppe nicht, die den Krieg kaum und den Nachkrieg als Jugendlicher erlebt hat – Schmidt-Carell war bei Hitlers Machtübernahme gerade Anfang zwanzig – und sich die Frage stellen mußte, welche persönlichen wie gesellschaftlichen Aussichten eigentlich in Betracht kamen.

Im Fall Schmidt-Carells müssen zudem außergewöhnliche Intelligenz und Begabung in Rechnung gestellt werden, der sich der Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen nicht nur bewußt war, sondern die auch das Regime zu nutzen trachtete. Dieser Sachverhalt, der Plöger kein Wort wert ist, erklärt doch die atemberaubende Karriere Schmidt-Carells als Pressechef des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop besser als alles andere. Intelligenz, kombiniert mit einem gewissen Maß an Zynismus, haben ihn auch den Zusammenbruch überstehen lassen, die mehrjährige Inhaftierung durch die Amerikaner und die Vernichtung der ersten bürgerlichen Existenz.

Als Schmidt-Carell 1948 entlassen wurde, sah er sich jedenfalls gezwungen, sein berufliches Leben wieder von vorn zu beginnen. Auch dabei spielten die Zeitumstände eine wesentliche Rolle, angefangen bei der Tatsache, daß eine Rückkehr in den diplomatischen Dienst für den „Belasteten“ ausgeschlossen war, über die Möglichkeiten, den neuen Antagonismus der Weltmächte publizistisch zu nutzen, bis zu den Versuchen der „Ehemaligen“, sich offen oder verdeckt zu organisieren. Während Bemühungen, die FDP in eine „nationale“ Partei umzuwandeln, ebenso scheiterten wie die Idee, im Bündnis mit den Vertriebenen eine eigene Formation, etwa den Block der Heimatlosen und Entrechteten (BHE), zu schaffen, war die Bildung von Netzwerken außerordentlich erfolgreich.

Denen verdankte Schmidt-Carell auch die Möglichkeit, zuerst als Ghostwriter, dann unter dem Pseudonym Paul Karell beziehungsweise Paul Carell eine sehr erfolgreiche Laufbahn als Journalist zu beginnen. Seine Stärke war die Umsetzung komplexer Sachverhalte ins Populäre, geeignet vor allem für die rasch wachsende Zahl von Magazinen und Illustrierten. In den fünfziger Jahren schrieb er auch im Spiegel, dann aber vor allem für die längst vergessene Kristall, die in der Spitze mit mehr als sechshunderttausend Exemplaren erschien.

Als Erfolgsgarant galten dabei die Serien von Schmidt-Carell über den Zweiten Weltkrieg, die vor allem die Erlebnisgeneration ansprachen und von ihm im Anschluß zu Bestsellern verarbeitet wurden. Die Bände „Unternehmen Barbarossa“ über den Rußlandfeldzug oder „Sie kommen“ über die Invasion in der Normandie standen einmal in fast jedem bürgerlichen Haushalt Westdeutschlands.

Da Kristall bei Springer erschien, kam Schmidt-Carell auf diesem Weg auch in Kontakt mit dem einflußreichen Verleger, der seinen Rat nicht nur in publizistischen Fragen schätzte, sondern ihn auch zu seinem „Sicherheitschef“ machte und an ihm festhielt – trotz der zunehmenden Angriffe, die seit den sechziger Jahren wegen der NS-Vergangenheit Schmidt-Carells erfolgten. Die Bemühungen Plögers, in diesem Zusammenhang eine „Mit-Schuld“ im mehr als moralischen Sinn zu behaupten, bringen in der Sache nichts Neues und scheinen dem Prinzip verpflichtet, „irgend etwas wird schon hängenbleiben“.

Obwohl die Verbindung zu Springer für die, die sich mit Schmidt-Carell befassen, am interessantesten ist, gibt es darüber im Grunde keine klaren Informationen. Ein Manko, das generell besteht und die Rekonstruktion der Biographie Schmidt-Carells außerordentlich erschwert. Eine Darstellung, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen könnte, wird jedenfalls erst geschrieben werden können, wenn es Zugang zum Nachlaß gibt.

Daß der bislang versperrt bleibt, hängt mit der wohlbegründeten Meinung der Erben zusammen, daß unter den heute obwaltenden Umständen eine halbwegs faire Darstellung von Leben und Person Schmidt-Carells nicht zu erwarten steht. Solange die Auseinandersetzung mit der konservativen oder rechten Intelligenz der Nachkriegszeit auf dem intellektuellen Niveau von Antifa-Traktaten stattfindet, dürfte sich daran auch kaum etwas ändern.

Foto: Bücher Paul Carells über den Zweiten Weltkrieg: In fast jedem Bücherschrank der Erlebnisgeneration

Christian Plöger:  Von Ribbentrop zu Springer. Zu Leben und Wirken von Paul Karl Schmidt alias Paul Carell. Tectum Verlag, Marburg 2009, gebunden, 475 Seiten, 34,90 Euro

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