© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Gentechnisch veränderte Demokratie
Landwirtschaftspolitik: Tier- und Pflanzenpatente gefährden die Saatguthoheit / Leibeigenschaft statt freier Bauernstand
Michael Howanietz

Die ersten umstrittenen „Patente auf Leben“ waren nur der Anfang. Mit der Mär des neu „erfundenen“ Lebens begann die Schaffung gigantischer Saatgutmonopole, die ein erklärtes Ziel haben: totale Marktbeherrschung. Dagegen formiert sich Widerstand. So wird am 29. Juni vor der Einspruchskammer des Europäischen Patentamts (EPA) in München über das Kuh- und Schwein-Patent der Universität Lüttich (EP 1141418) verhandelt.

Am 20. Juli stehen Genpatente von Brokkoli (EP1069819) und Tomate (EP 1211926) vor der Großen Beschwerdekammer der EPA zur Debatte. Ersteres beansprucht die britischen Firma Plant Bioscience (PBL), letzteres der Staat Israel. Der „Globale Aufruf gegen Patente auf konventionelles Saatgut und Nutztiere“ wurde schon von zahlreichen Bauern- und Naturschutzverbänden unterzeichnet. „Diese Patente sind Diebstahl an den Landwirten und den traditionellen Züchtern“, so bringt Miguel López Sierra, Generalsekretär des spanischen Bauernverbands COAG, die Problematik auf den Punkt.

Ein demokratiepolitisches Folgeproblem ist das mit dem Ende seiner Saatguthoheit einhergehende Ende des freien Bauernstandes und damit der nationalen Nahrungsmittelsouveränität und Selbstversorgungsfähigkeit. Zum grundlegenden Werkzeug der genmanipulativen Landwirtschaft zählen an Leibeigenschaft grenzende Diktate für Vertragslandwirte, Lizenzgebühren, die Überwachung der Vertragsbauern durch eine eigene Gen-Polizei und die die Keimfähigkeit der Pflanzen unterbindende „Terminator-Technologie“.

Zur Erreichung ihrer Weltmarktherrschaft bedienen sich die Konzerne nicht überstimmbarer, überstaatlicher Bevormundungsinstanzen. Die Codex-Alimentarius-Kommission (JF 52/09), die Welthandelsorganisation WTO und andere supranationale Gremien agieren in der Regel im Sinne der Gentechnik-Oligopole. Eigene Wege einzelner Mitgliedsstaaten sind de facto unmöglich: Ein Austritt aus dem Codex Alimentarius setzt einen Austritt aus der WTO voraus, der seinerseits nur einem EU-Austritt folgen kann.

Die Konstrukte der Agrogentechniker versagen zwar bei der propagierten Lösung des Welthungerproblems, bei den versprochenen Ertragszuwächsen und bei unabhängigen Studien zu Gesundheits- und Freisetzungsrisiken. Daher muß nun auch der umstrittene „Klimawandel“ als Rechtfertigung für die „grüne“ Gentechnik herhalten. Verstärkt CO2-bindende Bäume und neue Pflanzen für die Biospritproduktion sind jüngere Argumente der Schöpfung spielenden Genindustrie.

Wenngleich Nahrungsmittelknappheit bislang unverändert ein globales Verteilungs- und kein Kapazitätsproblem ist, wird sie durch die großzügige Rohstoffumwidmung zugunsten der Treibstoffe vom Acker nicht geschmälert. Die Konzerne verdienen gut dabei, ist im Mobilitätsbereich doch erheblich mehr zu verdienen, als es mit Lebensmitteln der Fall wäre.

Da auch Energiepflanzen auskreuzen und gentechnikfreie Felder kontaminieren, erfüllen sie einen doppelten Zweck: einerseits Gewinnmaximierung und andererseits Wettbewerbsnachteile für die ökologische und konventionelle Konkurrenz. Koexistenz ist unmöglich, wo ein Nachbar offensiv und nachhaltig den Lebensraum des anderen beschneidet. Hinzu kommt manchmal auch kriminelle Energie oder schlichte Schlamperei wie beim jüngsten Skandal um gentechnisch behandeltes Mais-Saatgut. Allein in Niedersachsen sollen davon 25 Landwirte mit Ackerflächen von insgesamt etwa 300 Hektar betroffen sein. Auch in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wurde der Genmais ausgesät, wie bei Stichprobenuntersuchungen festgestellt wurde.

So ist wohl auch zu erklären, wie es zu vordergründig unerklärlichen gentechnischen Verunreinigungen von Reis, Tofu oder jüngst Leinsamen kommen konnte. Immerhin ging es dabei um angeblich nie in den Handel gelangten Gentechnik-Reis (LL 601) bzw. im einzigen Anbauland Kanada seit 2001 verbotenen Leinsamen (der Sorte FP 967). Die fragwürdigen und von Lobbyisten beeinflußten Abstimmungsvorgänge auf EU-Ebene tun ein übriges, zu etablieren, was die Mehrheit der Europäer ablehnt. Die versprochene „Selbstbestimmung beim Anbau“ ist in Wahrheit üble Bauernfängerei, werden dafür doch weiter beschleunigte Zulassungsverfahren abverlangt, die zu einer Flut an Gentech-Saaten führen können. Nach der im März genehmigten BASF-Industrie- und Futterkartoffel Amflora harren weitere 15 Gensaaten ihrer baldigen Anbau-Zulassung für den EU-Raum.

Patentierung wie Sortenschutz wurden den Mitgliedsländern im EU-Vertrag von Lissabon wohlweislich entzogen und Brüssel überantwortet. Hinzu kommt eine Vielzahl personeller Umbesetzungen, die, von der US-Administration und der EU-Kommission vorgenommen, Gentechnikbefürworter und aktive Lobbyisten in höchste, entscheidungsbefugte Ämter beriefen. Die Zwangsbeglückung scheint unausweichlich. Das arme EU-Land Bulgarien gab mit seinen flächendeckenden Sicherheitszonen aber ein Beispiel, wie Brüssel auch in Fragen des Gentechnikanbaus zu düpieren ist – ein Vorbild, das bislang keinen Nachahmer fand.

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