© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Kabale und Liebe zwischen Paris und Berlin
EU: Der Streit um die Rettung des Euro belastet das deutsch-französische Verhältnis / Interessengegensätze brechen auf
Arnulf Rall

Der Haussegen hängt mal wieder schief zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy – das konnte auch der am Montag den Journalisten vorgespielte herzliche Empfang im Berliner Kanzleramt nicht überdecken. Denn der Grund des Zerwürfnisses bleibt trotz aller gefundenen Kompromißformeln bestehen: Die Bundeskanzlerin hat spät – aber immerhin – die sparsamen Tugenden einer schwäbischen Hausfrau wiederentdeckt. Der französische Staatspräsident wähnt sich mit einem weichen Euro, deutschen Garantien für die Mittelmeerschuldner und lockeren Staatsfinanzen am Ziel traditioneller Pariser Träume. Wie immer, wenn Deutschland sich in der EU-Diplomatie als Zahlmeister überlistet fühlt, reagiert es ungehalten und zornig. Dies hilft zwar nicht, es erleichtert aber die Seele über den neuen finanziellen Aderlaß.

So ließ Finanzminister Wolfgang Schäuble im nationalen Alleingang die spekulativen Leerverkäufe an den Börsen verbieten, man verschob das Treffen mit Sarkozy, bei dem dieser auf eine Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum (JF 22/10) drängen wollte, und kündigte ein Berliner 80-Milliarden-Sparpramm bis 2014 an (JF 24/10). Dabei sind zwar eigentlich nur die neuen Steuern auf die Atomenergie, Finanztransfers Flüge von deutschen Flughäfen aus fix, doch Frankreich fürchtet das Abwürgen seiner zarten Binnenkonjunktur. Im Export hat das Defizitland wenig zu erhoffen. Sarkozy muß sich um das AAA-Rating französischer Staatsanleihen ernsthafte Sorgen machen, zumal Paris seit Jahresbeginn über 110 Milliarden frische Schulden gemacht hat und der Staatsschuldenstand auf 87 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zusteuert.

Die in Berlin von Sarkozy angekündigten Ausgabenkürzungen von 45 Milliarden Euro bis 2013 dürften nicht ausreichen, um das Etatdefizit von derzeit acht auf die Maastricht-Grenze von drei Prozent des BIP zu drücken. Die von den Märkten erzwungenen griechischen oder spanischen Sparprogramme macht man in Paris für die dortigen Rezessionen verantwortlich. Eine – nur verbal beerdigte – EU-Wirtschaftregierung soll den Keynesianismus und das Schuldenmachen auf Brüsseler Ebene zementieren.

Das ist das letzte, was man in Berlin will, zumal man mit den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) nur allzu schnell gemerkt hat, wohin die Reise geht und wer die Zeche des lebenslustigen „Club Med“ zahlt. Ohnehin schafft der Liquiditätsüberhang – von der chinesischen Immobilienblase bis den europäischen Staatschulden – stets wachsende Risiken für neue krisenhafte Zusammenbrüche, die die angeschlagene Weltwirtschaft kaum mehr bewältigen dürfte.

Als Ausweg hat Merkel ihrem Gast Sarkozy abgerungen, daß notorischen Defizitsündern wie Griechenland künftig das Stimmrecht entzogen werden kann. Da diese EU-Vertragsänderung wohl nur einstimmig zu haben ist, kann sie durch die Wackelkandidaten von Portugal bis Irland aber blockiert werden. Es ist kaum erwarten, daß sie dem Plan gegen ihre kurzfristigen Interessen zustimmen werden und so auf ihr Nötigungspotential freiwillig verzichten. Deutschland scheint einigermaßen isoliert, es fühlt sich beim Versuch alleingelassen, die übelsten Exzesse der Konjunkturprogramme zu korrigieren. Für seine Finanzopfer auf dem Altar der EU-Solidarität erntet es nur Undank. Von der von Merkel öffentlich angemahnten neuen Stabilitätskultur ist man – außer in den Niederlanden oder Finnland – noch meilenweit entfernt. Als Anführer der neuen Schuldenbrigade schmiedet Sarkozy seine Bündnisse. Der kommende EU-Gipfel wird spannend.

Foto: Präsident Sarkozy, Kanzlerin Merkel: Deutschland in der EU-Diplomatie als Zahlmeister überlistet

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