© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Stillstand an Rhein und Ruhr
Regierungsbildung: Nach der Entscheidung der SPD, sich auf die Oppositionsbank zurückzuziehen, geht Nordrhein-Westfalen unsicheren Zeiten entgegen
Ansgar Lange

Düsseldorf liegt in Hessen. Diese Aussage läßt dieser Tage nicht etwa auf schlechte Geographiekenntnisse schließen, sondern ist ein Hinweis darauf, daß die politische Situation an Rhein und Ruhr völlig verfahren ist, weil sich die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft durch Taktiererei ins Abseits manövriert hat. Sie ist damit ebenso gescheitert wie einst ihre Parteigenossin Andrea Ypsilanti mit ihrem Versuch, eine linke Mehrheit in Hessen zu organisieren.

Ironie der Geschichte: Der eigentlich abgewählte „Landesvater“ Jürgen Rüttgers (CDU) bleibt in Nordrhein-Westfalen bis auf weiteres geschäftsführend im Amt. Das geplante Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei ist gescheitert, weil die rot-grünen Vertreter erst nach einem Sondierungsgespräch merkten, daß die Genossen einen eher unkritischen Umgang mit der DDR-Vergangenheit pflegen. Eine Große Koalition wiederum scheiterte am Widerstand der Sozialdemokraten, die sich nicht überwinden konnten, als Juniorpartner in eine Koalition einzutreten, die von dem an den Wahlurnen abgestraften „Arbeiterführer“ Rüttgers geführt wird. Eine Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP kam nicht zustande, weil die inhaltlichen Schnittmengen zwischen den drei ungleichen Partnern offenbar zu gering waren.

Den schwarz-grünen Träumern in der Union sollte zu denken geben, daß sich insbesondere die Grüne Sylvia Löhrmann als Ideologin entpuppte, bei den Sondierungen mit den Liberalen auf einer Maximalposition zur Einführung der Gemeinschaftsschule beharrte und die Liberalen auch noch fragte, ob sie denn auch eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren würden. Eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen wurde dagegen von keinem der möglichen Koalitionspartner jemals ernsthaft ins Auge gefaßt, so daß die NRW bis auf weiteres ohne eine handlungsfähige Regierung bleibt.

Die Geschehnisse in NRW seit der Landtagswahl am 9. Mai stützen die These, daß vielen Politikern das eigene Ego und die Postenschacherei allemal wichtiger geworden sind als politische Inhalte und der Einsatz für „die Menschen da draußen im Lande“, von denen die Wahlkämpfer so gerne sprechen. Wie einstmals Roland Koch in Hessen hält sich Rüttgers angesichts der unsicheren Machtoptionen bedeckt und wartet einfach ab, bis Frau Kraft, die das schlechteste jemals von ihrer Partei in NRW erzielte Wahlergebnis als grandiosen Erfolg verkauft, wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet ist. Die SPD-Frontfrau will das eigene Scheitern bei der Regierungsbildung aber immer noch nicht einsehen und spekuliert darauf, mit wechselnden Mehrheiten im Landtag doch noch den von ihr so häufig im Mund geführten „Politikwechsel“ zu vollziehen. So könnten die Sozialdemokraten etwa gemeinsam mit den Grünen und der Linkspartei die Abschaffung der Studiengebühren durchsetzen. Die nur noch geschäftsführend amtierende Landesregierung aus CDU und FDP müßte diese Beschlüsse dann umsetzen. Ähnliche Erfahrungen mußte einst auch Roland Koch sammeln.

Bei den Grünen stößt dieses Vorgehen auf Unverständnis. „Die SPD kommt dem Auftrag der Wähler nicht nach“, moniert der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin. SPD und Grüne seien gewählt worden, um Rüttgers abzulösen. Es sei nicht zu verstehen, wenn die SPD nicht die Kraft habe, eine Minderheitsregierung zu bilden, aber nichts dabei finde, eine von Rüttgers geführte Regierung ohne Mehrheit zu tolerieren. Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, hielt Kraft fehlenden Machtinstinkt vor. Die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit stehe so lange, wie Rüttgers geschäftsführend im Amt sei. Gerade aus diesem Grund ist die Berliner SPD-Parteiführung unter Sigmar Gabriel vom Rückzug der Genossen in NRW auf die Oppositionsbänke nicht begeistert.

Wie lange die Hängepartie an Rhein und Ruhr andauern wird, ist ungewiß. Neuwahlen bergen für alle Partei das Risiko, von den Wählern für ihr Versagen abgestraft zu werden. Doch  der rot-grüne Block dürfte aufgrund der allgemeinen politischen Großwetterlage noch am ehesten von einem erneuten Gang zu den Wahlurnen profitieren. Für die CDU und FDP ist dies derzeit ein Horrorszenario. Im Herbst könnte es dennoch dazu kommen.

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