© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Eine explosive Mischung
Diskussion um Steuererhöhungen: Trotz aller Aufrufe zur Geschlossenheit kommt die schwarz-gelbe Koalition nicht zur Ruhe
Paul Rosen

Mehr Disziplin in ihrer Berliner „Gurkentruppe“ verlangt die Kanzlerin, aber CDU, CSU und FDP treiben, was sie wollen. Wer hätte im September vergangenen Jahres – als Angela Merkels Wunschkoalition aus Union und FDP vom Wähler mit einer satten Mehrheit ausgestattet wurde – erwartet, daß diese Koalition sich in nicht einmal einem halben Jahr selbst zerlegt, so daß inzwischen im politischen Berlin keine Wetten mehr auf den Bestand der Regierung bis zum nächsten regulären Wahltermin 2014 angenommen werden? Der Rücktritt des Bundespräsidenten, der Abgang des Hessen Roland Koch, angebliche Rücktrittsdrohungen Berliner Minister wie Philipp Rösler (FDP) oder „Rumpelstilzchen“ Karl-Theodor Guttenberg (CSU), eine scharfe Debatte um Euro-Krise und nationales Sparprogramm und die ersten Krankenkassen-Zusammenbrüche ergeben eine explosive Mischung.

Es geht nicht darum, daß die Gewerkschaften zusammen mit linken Kräften ein paar tausend Demonstranten auf die Straße bekommen. So etwas bringt das Kanzleramt nicht aus der Ruhe. Es sind die eigenen Leute, die den Laden zum Einsturz bringen könnten. Dafür sorgt zum Beispiel Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Noch am vergangenen Freitag sagte er der Bild-Zeitung zu den von einigen Unionspolitikern geforderten Steuererhöhungen: „Davon halte ich rein gar nichts.“ Einen Tag später verbreitet der Spiegel Auszüge aus einem Interview mit Schäuble, in dem dieser auf die Frage zu Steuererhöhungen, die bei den Beratungen im Bundestag in das Sparpaket eingefügt werden könnten, antwortet: „Warum denn nicht?“ Das Hin und Her erinnert an ein Stück aus dem Tollhaus, Satiriker wie die Macher der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt” können einpacken. Die Berliner Realität stellt jedes Kabarett in den Schatten.

Problematisch für die Koalition wird die Frage der Steuererhöhungen, die jetzt selbst vom CDU-Wirtschaftsrat in Form eines höheren Spitzensteuersatzes befürwortet wird. Dabei war ausgerechnet der Wirtschaftsrat in den vergangenen Jahrzehnten der Lordsiegelbewahrer des Steuersenkungsprinzips. Aber selbst dort wird eine soziale Schieflage des Sparpakets, das bis 2014 rund 80 Milliarden Euro bringen soll, inzwischen nicht mehr bestritten.

Natürlich hat sich bereits gerächt, daß in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bei den Sozialausgaben immer weiter draufgesattelt worden ist. Ihr Anteil am Bundeshaushalt stieg seit 1980 von 16 auf heute 50 Prozent. Die paar Milliarden Euro, die die Koalition im Sozialbereich einsparen will, werden gar nicht zustande kommen. Ein Beispiel: Für Hartz-IV-Empfänger soll der bisher von der Staatskasse gezahlte Rentenbeitrag gestrichen werden. Der Rentenverlust betrage nur zwei Euro im Monat, beruhigt die Koalition. Den Leuten soll weisgemacht werden, die Beitragszahlung diene der Sicherung des Rentenanspruchs des Hartz-IV-Empfängers. Das stimmt nicht, denn diese Zahlungen werden sofort an die heutigen Rentenempfänger weitergeleitet. Bis 2014 werden in der Rentenkasse also 7,2 Milliarden Euro fehlen, die durch Steuermittel ausgeglichen werden müssen. Knapp zehn Prozent des Sparpakets werden nie zustande kommen. Es gibt weitere Beispiele.

Das Elterngeld ist ein Punkt, bei dem die Koalition wahrscheinlich als nächstes einknicken und einen Rückzieher machen wird. Dabei wird die Grundsatzfrage erst gar nicht mehr gestellt: 4,5 Milliarden Euro gibt der Staat für Elterngeld insgesamt aus. Als die Geburtenrate angeblich stieg, jubelte die damalige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) über vermeintliche Erfolge der Familienpolitik durch Elterngeld und anderes – bis sich ein Irrtum der Statistiker herausstellte. In Wirklichkeit war die Geburtenrate zurückgegangen, das Elterngeld hatte nicht zu höheren Geburtenzahlen beigetragen – genausowenig wie die anderen Maßnahmen für Familien und Kinder. Die Abschaffung oder Einschränkung solcher Leistungen böte sich an. Aber dies ist für die Koalition genauso tabu wie das Kürzen von Bildungsausgaben. Hier gibt es ein ähnliches Phänomen zu beobachten: Die Leistungen deutscher Schüler und Studenten werden schlechter, während gleichzeitig die Ausgaben für Bildung jedes Jahr auf neue Rekordwerte steigen.

Das Handelsblatt will erfahren haben, daß in der Union und in den von ihr geführten Ministerien längst Steuer­erhöhungen in Vorbereitung seien, da man ahne, daß das Sparpaket in seiner jetzigen Form nicht durchzuhalten sei. Hinzu kommt, daß sich die bürgerliche Regierung an überhöhte Subventionen wie bei den erneuerbaren Energien nicht herantraut, so daß Anlegern in solche Energieformen weiter staatlich garantierte und subventionierte Renditen von 10 bis 15 Prozent im Jahr winken. Die Union will auf jeden Fall die Option der schwarz-grünen Koalition erhalten wissen.

Angeblich sind Änderungen bei der Mehrwertsteuer in Planung. Durch eine  Abschaffung aller ermäßigten Sätze, die nicht nur Hotels, sondern auch Presse und Kultur hart treffen würden, soll ein zweistelliger Milliardenbetrag hereinkommen. Dabei soll der ermäßigte Satz für Lebensmittel sogar bleiben und von sieben auf fünf Prozent gesenkt werden. Schäuble wiederum soll über einen höheren Solidaritätszuschlag nachdenken, weil dessen Ertrag allein an den Bund geht und nicht wie die Mehrwertsteuer mit den Ländern geteilt werden muß. Ehe die Rechnung präsentiert wird, soll die FDP aber erst brav den Bundespräsidenten Christian Wulff mitwählen. Die Frage ist nur, ob die Gesamtrechnung aufgeht.

Foto: Westerwelle, Merkel und Seehofer (v. l.) mit dem Koalitionsvertrag: Die Risse werden immer tiefer

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