© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Totale Ignoranz des biologisch Möglichen
Gesellschaft: Der Berliner Christopher Street Day wird immer stärker ideologisiert und transportiert knallharte politische Programmatik
Thorsten Hinz

Am Wochenende wird in Berlin zum Christopher Street Day (CSD) wieder eine große Schwulenparade durch die Stadt ziehen. Für Polizeipräsident Dieter Glietsch ist das der Grund, am Polizeipräsidium die Regenbogenfahne hissen zu lassen. Das ist um so bemerkenswerter, weil er gleichzeitig der Polizei untersagt hat, während der Fußball-WM die Dienstautos mit Schwarz-Rot-Gold zu dekorieren. Das Symbol der Staatlichkeit gilt Glietsch als potentielles Ärgernis, dem Symbol einer Interessengruppe, die sich über ihre Sexualität definiert, erweist er als Vertreter des Staates seinen Respekt. Was sagt das aus über Glietsch und über die Stadt? Wie hängt beides miteinander zusammen? Und – was will der CSD überhaupt?

Seine Organisatoren hatten in den vergangenen Jahren immer größere Mühe, ihm einen politischen Inhalt zu geben. Wofür noch demonstrieren, wenn der Paragraph 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, im tiefen Brunnen der Vergangenheit versunken ist; wenn zumindest die Großstädter sich daran gewöhnt haben, Tür an Tür mit einem schwulen Paar zu leben, und wenn der Rest von einer homofreundlichen Rechtsprechung erledigt wird? Die Losungen klangen denn auch eher gequält als witzig. „Verschiedenheit und Recht und Freiheit“, lautete sie 2006.

Diesmal heißt es „Normal ist anders“. Hinter dem eher spröden Motto steht eine knallharte politische Programmatik. Neben sozialen Forderungen geht es um den totalen Umbau des Geschlechterverständnisses. „Einfach ist es, wenn akzeptiert wird, daß Adam eine Tunte und Eva ein Kerl“, erklärte ein CSD-Verantwortlicher in der Homo-Zeitschrift Siegessäule, dem wichtigsten Selbstverständigungsorgan der Szene, launig und in totaler Ignoranz gegenüber dem biologisch Möglichen. In der Forderungsliste des CSD klingt das so: „Es ist dringend nötig, geschlechtliche Vielfalt jenseits einer starren, biologischen Mann/Frau-Trennung (...) zuzulassen.“ Die CSD-Organisatoren und Schwulenaktivisten sind auf den Zug der Gender-Ideologie gesprungen und geben der Lokomotive Feuer. Der Geschlechter-Umbau beginnt beim eigenen Vokabular. In den einschlägigen Medien werden die Begriffe „schwul“ und „lesbisch“ zunehmend durch das englische Wort „queer“ ersetzt, das im Sprachgebrauch die Gesamtheit der sexuellen Abweichungen (Trans- und Intersexualität und was es sonst noch gibt) umfaßt und der sexuellen Vielfalt besser gerecht werden soll.

Die Inspiration dazu stammt von der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Judith Butler, die in diesem Jahr auch den „Preis für Zivilcourage“ erhält. Butlers zentrale Theorien thematisieren das Verhältnis von Macht, Sexualität, Geschlecht und Identität. „Sie hat“, heißt es in der Begründung, „den Weg für die Queer-Theory geebnet, indem sie eine grundsätzliche Kritik an der Selbstverständlichkeit der Heterosexualität formulierte.“ In der Siegessäule polemisiert der Frankfurter Literaturprofessor Andreas Kraß, an Butler anknüpfend, gegen die „Heteronormativität“, also gegen die Partnerschaft zwischen Mann und Frau als gesellschaftliches Leitbild. Die „Heteronormativität“ als „Denk-, Zeichen- und Gesellschaftsordnung“ wirke wie ein „Grundgesetz“, das zur Gewalt aufrufe. Denn weil ihr „niemand“ gerecht werden könne, erzeuge sie einen Leidensdruck, der an Projektionen – an Minderheiten wie den Schwule und Lesben – abgearbeitet werde und damit Gewalt erzeuge. Die Mann/Frau-Polarität sei keine biologische Tatsache, sondern ein kulturelles Konstrukt, das nur durch die Macht der Gewohnheit als eine anthropologische Gegebenheit empfunden würde. Um sie subversiv zu unterlaufen, müßten ständige Irritationen in die gesellschaftlichen Abläufe eingebaut werden. Nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ könne man eine Veränderung der Geschlechterrollen erreichen. Um die „Heteronormativität“ in Frage zu stellen, seien Antidiskriminierungsgesetze, aber auch Filme, Bücher und „kulturelle Akte“ geeignet. Die psychische und soziale Gewalt, die diese Maßnahmen implizieren, hält Kraß offenbar für legitim.

Der  linke Traum von der Revolution kehrt als kulturrevolutionärer Alptraum zurück. Er zielt auf das Innerste des Menschen und auf die Kontrolle seiner intimsten Verhältnisse. Die Ausdifferenzierung der „schwulen“ in viele „queere“ Identitäten steht modellhaft für die vermeintlich emanzipatorische Dynamik, mit der das störrische Individuum unter sozialen Streß gesetzt, partikularisiert, gesteuert und nach ideologischen Vorgaben neu strukturiert werden soll. Für die Systemveränderer sind die Homosexuellen als potentielle Agenten der Kulturrevolution besonders interessant, weil sie den Bruch mit den bürgerlichen Normen naturgemäß – aus ihrer sexuellen Prägung heraus – vollziehen.

Daneben wird die Schwulenszene zum Experimentierfeld und Anwendungsfall der modernen Massengesellschaft. Die Forderung, die „Heteronormativität“ aufzusprengen, korrespondiert mit der massendemokratischen Neigung, Eigenschaften wie Selbstzucht und Disziplin, die zur Erreichung längerfristiger Ziele notwendig sind, zugunsten des Spontanen, des schnellen Genusses, des flüchtigen Ruhms im Scheinwerferlicht zu verabschieden. Der empfohlene Nonkonformismus ist selber ein konformistischer Zwang, der unter Umständen zu größerem Selbstverlust führt als das Einfügen in die angeblich repressiven Strukturen. Er ist aber typisch für eine Stadt, in der weniger gearbeitet, dafür um so mehr gefeiert und sozialtransferiert wird als anderswo und wo eine Mentalität vorherrscht, die den Selbstverwirklichungsanspruch von der Selbstverantwortung für seinen Unterhalt entkoppelt hat. Das kann soweit gehen, daß die abweichende sexuelle Präferenz als ein Vorrecht betrachtet wird, das vom Staat zu finanzieren sei. Als ein Berliner Lokalpolitiker der Linken der Siegessäule mitteilte, daß Berlin mit 2,1 Millionen Euro die Homo-Gleichstellung finanziert, wurde sofort die Frage nachgeschoben: „Wie wird die Community einbezogen, bekommen Bildungsprojekte ein Stück vom Haushaltskuchen ab?“

Diese Entwicklung ist in der rot-rot regierten Hauptstadt gewollt. Die „Vielfalt“ („Diversity“) wird von der Politik nicht hinterfragt, sondern wegen ihres kulturrevolutionären Potentials sogar gefördert. Gesellschaftspolitik verkommt zum „Diversity Management“, in der „Homo-“ und  „interkulturelle Kompetenz“ eine zunehmende Rolle spielen. Der Einebnung der Geschlech­tergrenzen entspricht die Nivellierung der rechtlichen Unterschiede zwischen In- und Ausländern. Der bürgerliche Rechtsstaat wird so Stück um Stück ausgehöhlt, geschwächt und umgebaut, um dann als ideologischer Umerzieher desto drohender zurückzukehren. Das Hissen der Schwulen- bei gleichzeitigem Verbot der Deutschland-Fahne symbolisiert diese sukzessiven Veränderungen.

Foto: Berliner Christopher Street Day 2009: „Heteronormativität“ in Frage gestellt

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