© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/10 18. Juni 2010

Wo bleibt die Rebellion?
EU: Über die Euro-Krise soll die Auflösung souveräner Nationalstaaten beschleunigt werden
Bruno Bandulet

Nachdem sich die Krise der Europäischen Währungsunion in den vergangenen Monaten dramatisch beschleunigt hat, ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Dabei muß zwischen Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten, zwischen Wünschbarem und Tatsächlichem sauber unterschieden werden.

Erste Feststellung: Seit diesem Mai, seit den vom Bundestag willfährig verabschiedeten Ermächtigungsgesetzen haben wir es mit einem anderen Euro zu tun. Die drei Fundamente, auf denen er ruhte, wurden vertragswidrig geopfert: der Stabilitätspakt mit seinen Schuldengrenzen – die waren freilich schon lange Makulatur; der in Maastricht verankerte Haftungsausschluß, der de facto dem Schutz der finanziellen Integrität Deutschlands diente; und schließlich die Unabhängigkeit der EZB, die schwer angeschlagen ist, seitdem sie damit begonnen hat, Staatsanleihen der Südländer aufzukaufen und auf diese Weise Geld zu drucken.

Von einer Stabilitätsgemeinschaft kann keine Rede mehr sein. Der Euro, der – zumindest aus deutscher Sicht – einmal als Alter ego der D-Mark gedacht war, ist zu einem Euro-Franc mutiert. Und das ist noch die gnädigste Version, wie die Entwicklung der nächsten Jahre zeigen wird.

Die Europäische Währungsunion ist aber auch gescheitert gemessen an den Versprechungen und Hoffnungen, die ihre Gründung begleitet haben. Die Einheitswährung sollte Europa gegen exogene Schocks aus Übersee immunisieren – statt dessen schlug die von den USA verschuldete große Finanzkrise 2008 voll auf Westeuropa durch.

Sie sollte die Volkswirtschaften in Europa vitalisieren – statt dessen schrumpfte das Wachstum in den ersten zehn Jahren der Euro-Zone auf nur noch 1,1 Prozent, weniger als jemals zuvor in Westeuropa und weitaus weniger als in allen anderen Regionen der Welt.

Und drittens sollte die Euro-Zone die beteiligten Länder ökonomisch zusammenwachsen lassen – statt dessen divergieren Inflationsraten, Zinsen, Leistungsbilanzen, Schulden und Wachstum ähnlich stark wie vor der Einführung der europäischen Zwangswährung. Wenn das ein Erfolg sein soll, dann dürfen wir auf das Gegenteil davon gespannt sein.

Alternativen gibt es genug. Deutschland könnte den Euro retten, indem es selbst die Währungsunion verläßt und zur D-Mark zurückkehrt. Oder die Währungsunion könnte sich in einen Hartwährungs- und einen Weichwährungsblock aufspalten.

Andere Möglichkeit: Der Euro bleibt erhalten (aber nicht als Haftungsgemeinschaft!), und parallel dazu führen diejenigen Länder, die das wollen, ihre nationalen Währungen wieder ein. Dann kann jeder selbst entscheiden, in welcher Währung er exportiert, sich verschuldet oder investiert. Das wäre die marktwirtschaftliche Lösung. Würde dann zusätzlich vereinbart, daß die nationalen Währungen zum neuen Euro nur abwerten, aber nie aufwerten dürfen, bekäme ein solcher Parallel-Euro sogar den Status einer Hartwährung.

Leider sind die Chancen für eine wie immer geartete Neuordnung des europäischen Währungssystems auf absehbare Zeit äußerst gering. Die politische Klasse hat schon zuviel in das Projekt investiert. Sie ist geübt in Realitätsverweigerung. Sie hat ja noch nicht einmal damit begonnen, Ursachenforschung zu betreiben und das Fiasko zu analysieren, geschweige denn die Schuldigen zu benennen.

Schließlich steht nicht nur der Euro auf dem Spiel, sondern die gesamte ihm zugrunde liegende Ideologie. Es verhält sich wie mit den Puppen in der Puppe: der Euro steckt im Kern der EU, und die EU wiederum ist nur Ausfluß einer überwölbenden Europa-Ideologie, des Europäismus. Und beide, Euro und EU, unterliegen den Bedingungen eines Weltfinanzsystems, das auf der Leitwährung Dollar und der nicht zuletzt militärischen US-Hegemonie basiert. Sich diesen Verstrickungen zu entziehen, überfordert die Kraft deutscher Politiker. Sie ziehen den gemeinsamen Untergang allemal einem deutschen Sonderweg vor.

Dies um so mehr, als sich der Untergang auf unbestimmte Zeit vertagen läßt. Dann wird aus der Währungsunion eben eine Schulden- und Transfergemeinschaft. Natürlich ist es ein Bluff, wenn die klammen europäischen Südstaaten die Kredite für die ihnen zugedachten Rettungspakete selbst mitgarantieren. Im Ernstfall können sie nicht zahlen, wie denn auch. Dann bleibt der Löwenanteil an Deutschland hängen. Und hier sind die Verschuldungsgrenzen noch nicht ausgereizt. Ein Land mit solchen Exportüberschüssen bleibt lange zahlungsfähig.

Am 19. November 1996 sprach Anatole Kaletsky in der Londoner Times vom Maastrichter Vertrag als einem „natürlichen Nachfolger der Verträge von Versailles und Potsdam“. Nüchterner betrachtet, könnten auf den deutschen Steuerzahler Belastungen zukommen, die in eine ähnliche Größenordnung fallen wie die Transfers im Zuge der deutschen Einheit. Nicht anders sah es Beat Gygi, als er am 22. Mai in der Neuen Zürcher Zeitung schrieb, nach der riesigen, noch laufenden Umverteilung von West- nach Mitteldeutschland starteten die deutschen Politiker nun auf europäischer Ebene ein neues, ähnliches Experiment.

So also steht der Wille der politischen Klasse, an Fehlentscheidungen festzuhalten und der ökonomischen Vernunft zu trotzen, gegen die nationalen Interessen – und übrigens auch gegen die Devisen- und Kapitalmärkte, an denen letztlich doch nur Realitäten gehandelt werden. Daß der Markt den Euro irgendwann zertrümmert, ist durchaus vorstellbar.

Bleibt die Frage, wie lange der Souverän, das Volk, das böse Spiel auf seine Kosten zu ertragen gewillt ist. Wer weiß schon, wann Wut und Resignation umschlagen in Rebellion. Auch gelenkte Demokratien sind auf Dauer nicht immun gegen den Volkswillen.                   

 

Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des Finanzdienstes Gold&Money Intelligence. Ende Juni erscheint von ihm im Kopp-Verlag das Buch „Die letzten Jahre des Euro“.

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