© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Öffentliches Echauffieren
Die „Freundesgabe“ zum achtzigsten Geburtstag des Staatsrechtlers Helmut Quaritsch
Andreas Graudin

Helmut Quaritsch genießt als Staatsrechtler und akademischer Lehrer einen untadeligen Ruf. Vor seinem gesundheitlich bedingten Rückzug ins Private vor einigen Jahren hat sich der zuletzt an der renommierten Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer lehrende heutige Emeritus immer wieder pointiert zu Wort gemeldet. Er selbst nannte das mit hanseatischer Selbstironie „öffentlich echauffiert“.

Heiße Eisen hat er dabei nie gescheut. Seine Aussagen zu Zuwanderung und Asylmißbrauch, Vergangenheitsbewältigung, DDR-Unrecht oder den Nürnberger Prozessen waren für den linksliberalen Mainstream immer wieder Grund zu gouvernantenhafter Entrüstung. Fachlich und argumentativ blieb Helmut Quaritsch stets obenauf. Neben dem Öffentlichen Dienstrecht, dem Ausländer-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht, dem Amnestie- und Gnadenrecht sind Staats- und Souveränitätstheorien der Neuzeit sein bevorzugter Forschungsgegenstand seit seiner Hamburger Habilitation im Öffentlichen Recht und Kirchenrecht 1965. Der biographischen Vollständigkeit halber seien Helmut Quaritschs Stationen an der Ruhr-Universität Bochum und 1968 an der Freien Universität Berlin erwähnt. Von 1970 bis 1973 war er Leiter des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages in Bonn.

Freunde und Kritiker kommen an Quaritschs Werk über „Positionen und Begriffe Carl Schmitts“ nicht vorbei. Vor allem dieses auflagenstarke Buch und die Ausrichtung des ersten internationalen Carl-Schmitt-Symposiums 1986 an Quaritschs jahrzehntelanger Wirkungsstätte in Speyer markieren den Beginn einer behutsamen Carl-Schmitt-Rezeption in Deutschland. Über dreißig Jahre war Helmut Quaritsch zudem Mitherausgeber der Zeitschrift Der Staat. Die öffentliche Wirkung dieser Publikation stand und steht in krassem Gegensatz zur hohen Qualität der Beiträge.

Helmut Quaritsch förderte „Leute mit geistigen Interessen“, der konditionierte Rechtsreferendar war ohne historische und philosophische Grundkenntnisse in seinen Speyerer Seminaren eher deplaziert, konnte aber mit Fleiß und Mühe immer auf Nachsicht hoffen. Eine „Schule“ ist um ihn nicht entstanden, wohl aber ein kleiner Kreis von Schülern, Freunden und Weggefährten. Zum 80. Geburtstag gab es keine klassische Festschrift wie noch zum siebzigsten. Nicht von ungefähr nennen die Herausgeber Hans-Christof Kraus und Heinrich Amadeus Wolff das Substitut eine „Freundesgabe“. Das ist mehr als eine Festschrift, die oft nur Eitelkeiten von Ordinarien bedienen soll. Man darf annehmen, daß nur der engste akademische Freundeskreis um Beiträge gebeten wurde. Neben den beiden Herausgebern beteiligten sich noch die Ordinarien Piet Tommissen, Wolfgang Schuller, Gerd Roellecke und Dietrich Murswiek an dem kleinen Band. Günter Maschke, langjährig mit Helmut Quaritsch in der Carl-Schmitt-Forschung verbunden, fehlt leider. Die Lücke füllt Piet Tommissen mit seinem Aufsatz über den Annäherungsprozeß des Politologen und Resistance-Kämpfers Julien Freund an das Werk und die Person Carl Schmitts; nebenbei auch den von Raymond Aron. Mit gewohnter Akribie veröffentlicht Piet Tommissen, Sorel- und Schmitt-Spezialist, Untergründiges. Das deutsche Fachpublikum macht er auf eine Anti-Schmitt-Kampagne in Frankreich nach langen Jahren der von Aron und Freund eingeleiteten Schmitt-Rezeption aufmerksam. Eine vorurteilsfreie Betrachtung Schmitts verlagere sich neuerdings nach England.

Hans-Christof Kraus wartet mit der Erstveröffentlichung eines Kurzgutachtens von Ernst-Rudolf Huber für Hans-Joachim Schoeps von 1951 zur Unvereinbarkeit von Grundgesetz und parlamentarischer Monarchie auf. Lediglich im Wege der Verfassungsbeseitigung über den Artikel 146 Grundgesetz sei die Veränderung der republikanischen Staatsform in der Bundesrepublik denkbar. Das war unter alliierter Oberhoheit genauso unerwünscht wie heute unvorstellbar. 1990 spielte die Variante keine Rolle. Das Gerangel um den deutschen Thron wäre wohl eine tragikomische Burleske geworden. Der große Carl Schmitt hätte diese Anwandlung des verdienstvollen Historikers Hans-Joachim Schoeps als gefährliche politische Romantik abgetan, die nur von Kernfragen ablenke. Und doch: Die Geschichte hat mehr Phantasie als ihre Akteure und Interpreten.

Treffsicher und konzise arbeitet Heinrich Amadeus Wolff, Professor an der Viadrina in Frankfurt (Oder), deutsche Souveränitätsbeschränkungen in der Wehrverfassung des Grundgesetzes am Beispiel des Umgangs mit Piraterie heraus. Er fordert eine Verfassungsänderung, um eine Überdehnung des Verteidigungsfalls nach dem Grundgesetz auf die notwendige Pirateriebekämpfung zu vermeiden, die auch nicht immer über die Konstruktion der Nothilfe zu überbrücken sei.

Dietrich Murswiek, Professor für Öffentliches Recht in Freiburg, geht dem Dauerbrenner nationaler Souveränitäten in der EU mit Blick auf das von ihm als Prozeßvertreter erstrittene „Lissabon-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts nach und wird gewohnt deutlich bei den absoluten Grenzen der europäischen Integration. Die Staaten und ihre Staatsvölker bleiben Souverän und „Herren der Verträge“, und das Recht auf Austritt aus der EU bleibt bestehen. Alles andere ist Umsturz, ist man geneigt hinzuzufügen. Helmut Quaritsch kann stolz auf seine akademischen Freunde sein. Alles Gute, mein geschätzter Lehrer!

Hans-Christof Kraus, Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.): Souveränitätsprobleme der Neuzeit, Freundesgabe für Helmut Quaritsch anläßlich seines 80. Geburtstages, Duncker & Humblot, Berlin 2010, broschiert, 185 Seiten, 58 Euro

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