© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Zeitschriftenkritik: Deutschland Archiv
Köhlers Schublade
Clemens Taeschner

Wer nach weiteren Gründen sucht, die den beispiellosen Rücktritt Horst Köhlers vom Amt des Bundespräsidenten erklären können, muß in die aktuelle Ausgabe der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift Deutschland Archiv schauen. In dem seit 1968 erscheinenden Magazin „für das vereinigte Deutschland“, dessen neues Heft (Nr. 3/2010) als Themenschwerpunkt die Wirtschaftsgeschichte der DDR reflektiert, erinnert sich der heutige Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin in einem Interview an die maßgeblich von ihm selbst konzipierte deutsch-deutsche Währungsunion 1990. Brisanz erhält diese Geschichte durch Sarrazins direkten Vorgesetzten in jener Zeit im Bundesfinanzministerium, den Abteilungsleiter Horst Köhler: Nicht nur, weil er das „Trumpf-As“ von Köhler gewesen sei, so Sarrazin, sondern weil er in Bonn der einzige war, der einen wirtschaftlichen Durchblick gehabt habe: „Es war keiner da, dem etwas einfiel. (...) Bis zur Unterschrift unter den Vertrag zur Währungsunion lief ohne mich kein Schritt.“

So verweist Sarrazin auf seine Warnung im Frühjahr 1990, der zufolge sich die Übernahme der DDR finanziell als ein Faß ohne Boden erweisen werde: „Bereits im März hatte ich einen Vermerk gefertigt, in dem ich in einer simplen Tabellenkalkulation ausrechnete, wie hoch der Zuschußbedarf der DDR sein würde (...). Ich kam auf Zuschußzahlen von 100 bis 150 Milliarden D-Mark pro Jahr. Staatssekretär Köhler hat diese Kalkulation gar nicht gefallen, sie verschwand in der Schublade.“ Ehrenhaft erscheint in diesem Zusammenhang Sarrazins Entscheidung, nicht auf Köhlers Angebot einzugehen, „an den Vorarbeiten zu einer europäischen Währungsunion“ mitzuwirken. Diese „Karriereweichenstellung“, so Sarrazin, sei für ihn „wahrhaft fundamental“ gewesen. Statt dessen arbeitete er weiter für den Prozeß der deutschen Einheit, der ihn – auch hier illusionslos – zur Treuhand führte: „Ich wußte, es würde nach Abzug der Restruktierungskosten keine positiven Erlöse geben.“

Daß es einmal soweit kommen würde, war für das Imperium des Alexander Schalck-Golodkowski, den sogenannten Bereich KoKo (Kommerzielle Koordinierung), nicht von vornherein absehbar. In dem Beitrag „KoKo – ein allseits geschätzter Kreditnehmer am Euromarkt“ wird geschildert, wie die 1964 gegründete Intrac Handelsgesellschaft mbH der DDR zum zuverlässigen und geschätzten Kreditnehmer bei den renommiertesten Banken avancierte und sich an den internationalen Finanzmärkten tummelte. Mit einem Jahresumsatz von 10 Milliarden D-Mark wies Intrac in den achtziger Jahren gar eine Summe auf, die das Unternehmen für die Aufnahme in den deutschen Börsenindex Dax 30 qualifiziert hätte. Bislang ungeklärt sei jedoch, so der Verfasser Holger Bahl, ob die am Euro-Markt aufgenommenen Kredite im Bereich KoKo auch für kriminelle Geschäfte verwendet wurden. Dies ließe sich erst beantworten, „wenn Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz ihre Archive öffnen“.

Deutschland Archiv, W. Bertelsmann Verlag, Auf dem Esch 4, 33619 Bielefeld. Das Einzelheft kostet 8 Euro, ein Jahresabo 39 Euro.

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