© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Abends heulen die Sirenen der Streifenwagen
New York: Es brodelt wieder im multikulturellen Schmelztiegel / Vom Kampf der Schwarzen in der Bronx / Weiße verirren sich dorthin selten
Tim König

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sprechen offizielle Stellen nicht gern über Rassenkonflikte. Statt dessen schreiben sich öffentliche Einrichtungen den Begriff „Diversity“ (Vielfalt) auf die Fahnen. Über die allerorten schwelenden Konflikte legt man lieber den Mantel des Schweigens.

Wird in den US-Medien von Vorfällen mit rassistischem Hintergrund berichtet, dann geht es in der Regel um Konflikte zwischen Angehörigen der schwarzen und der weißen Bevölkerung, bei denen den „African-Americans“ die Opferrolle zukommt, während der rassistische Akt von Weißen verübt wird. Diese Ereignisse werden von den Medien ausgeschlachtet, denn sie versprechen höhere Einschaltquoten und Auflagen als andere ethnische Konflikte.

Erinnert sei an die Rassenunruhen 1992 in Los Angeles, als vier weiße Polizisten von dem Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen wurden, nachdem sie den Schwarzen Rodney King bei seiner Festnahme schlugen und traten.

Oder an Henry Louis Gates Jr. (58), Professor für Afro-Amerikanische Studien an der renommierten Harvard-Universität in Boston, der im Juli 2009 in seinem eigenen Haus von der Polizei verhaftet worden war. Er hatte den Haustürschlüssel vergessen und war durch die Hintertür in sein Haus eingestiegen. Eine Welle der öffentlichen Empörung machte sich in den Medien breit, angetrieben von Vorwürfen und Unterstellungen, Gates sei nur aufgrund seiner Hautfarbe verhaftet worden.

Weitaus geringeres öffentliches Interesse und mediale Aufmerksamkeit generieren die Konflikte zwischen Schwarzen und Hispanics, Hispanics und Asiaten oder Asiaten und Schwarzen. Soziale Unruhen, die sich gar innerhalb einer dieser öffentlich umrissenen ethnischen Kategorien abspielen, finden sich als Fußnoten in den hiesigen Tageszeitungen wieder. Wer jedoch genauer zwischen den Zeilen liest, entdeckt mitunter Konflikte einer besonderen Art.

So brodelt es ausgerechnet im Vorzeigeobjekt deutscher Multikulturalisten, dem vielgelobten Schmelztiegel der Kulturen: New York. In einem der Problembezirke der Stadt, der South Bronx, kommt es seit geraumer Zeit zu starken sozialen Spannungen zwischen US-Amerikanern afrikanischer Abstammung und den schwarzen Einwanderern westafrikanischen Ursprungs, primär aus dem Senegal, Mali, Gambia oder Sierra Leone.

Die Übergriffe auf Westafrikaner mehren sich

Gewiß hat jede Nachbarschaft ihre kleinen Streitigkeiten, und die neu Hinzugezogenen brauchen stets eine gewisse Zeit, um sich in ihr soziales Umfeld zu integrieren. In der South Bronx wird die Lage dadurch verkompliziert, daß es sich bei der schnell wachsenden Gemeinschaft der Neuankömmlinge um Muslime und stark in der afrikanischen Kultur verwurzelte Afrikaner handelt, die die diversen Verhaltensregeln und Kleidungskodizes ihrer amerikanischen Nachbarn nicht teilen, sondern sich in ihre eigene Welt zurückziehen.

Doch der Integrationswillen scheint auf beiden Seiten zu fehlen. Mohammed M. Barrie, Besitzer eines westafrikanischen Cafés in der Bronx, zählt urinbeschmutze Fensterscheiben, ein Einschußloch und nur maximal eine Handvoll US-amerikanischer Gäste zu seinen Erfahrungen. Barrie, der seit 1998 in den USA lebt, schüttelt den Kopf: „Ich zahle regelmäßig meine Rechnungen, meine Steuern, aber diese Leute hier respektieren Afrikaner einfach nicht.“

Viele Muslime in den USA sehen sich seit den Anschlägen des 11. September 2001 außerdem mit massiven Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert, was die sozialen Spannungen und Konflikte enorm verschärft. Fast zwei Dutzend Übergriffe auf westafrikanische Einwanderer sind in den vergangenen zwei Jahren allein in Claremont gemeldet worden, demjenigen Teil der South Bronx, der sich durch den 42. und den 44. Bezirk, zwei der gefährlichsten Gegenden New Yorks, zieht.

Die Bevölkerung dort setzt sich zu 44 Prozent aus Schwarzen und zu 53 Prozent aus Hispanics, US-Amerikanern lateinamerikanischer Abstammung, zusammen. Allabendlich liefern die Sirenen der Streifenwagen die Hintergrundmusik zum Straßenbild, und man wird in dieser Gegend stets davor gewarnt, nachts allein durch die Straßen zu laufen. Selten verirren sich weiße Bürger in diesen Teil der Stadt.

Muhammed Sillah, Automechaniker aus Gambia, läßt seine fünf Kinder nicht mehr auf die öffentlichen Spielplätze der Stadt: „Hispanische Kinder, amerikanische Kinder, aber keine afrikanischen Kinder (…) wir haben einfach Angst hier.“

Die Integrationsprobleme sind von der einfachsten Art, denn zwischen dem Leben der muslimischen Einwanderer, in deren Mittelpunkt die Al Tawba Moschee steht, und dem der vorwiegend christlichen Schwarzen in der Gegend gibt es kaum Berührungspunkte. Statt Kommunikation und Dialog bestimmen Vorurteile und gewalttätige Übergriffe das Zusammenleben zwischen den beiden Gruppen. Kann aber in einem derartigen Zusammenhang überhaupt von einem Rassenkonflikt die Rede sein, wenn schwarze US-Amerikaner und schwarze Afrikaner aneinandergeraten? Oder handelt es sich vielmehr um einen religiös-kulturellen Konflikt, wenn schwarze Muslime auf schwarze Christen treffen – einen Konflikt wie ihn Samuel Huntington in seinem „Kampf der Kulturen“ vorausgesagt hatte?

Die weiße US-Öffentlichkeit schaut eher betreten beiseite

In der US-Öffentlichkeit werden derartige Vorfälle im allgemeinen unter der Kategorie „Hate Crimes“ subsumiert, also aus Haßgefühlen motivierte Verbrechen. Sie gehen in einer der vielen Statistiken unter und geraten in Vergessenheit. Tieferliegende soziologische Ursachen werden nicht beleuchtet.

Das Vorzeigeland des Multikulturalismus tut sich sehr schwer damit, den öffentlichen Frieden zwischen den verschiedenen Kulturkreisen, Religionen und Ethnien zu wahren. Einerseits sind durch die Verfassung offiziell alle Bürger gleichgestellt. Diskriminierung im Alltag, im Beruf oder in der Öffentlichkeit wird nicht geduldet und sogar strafrechtlich verfolgt. Andererseits zieht ebendiese Öffentlichkeit permanent strenge ethnische Grenzen. So werden die Bürger in fast allen öffentlichen Einrichtungen beim Ausfüllen der diversen Formulare, so dem eines Sozialversicherungsausweises, aufgefordert, sich durch Ankreuzen einer der sieben angegebenen „Rassen“ zuzuordnen, die neben „Asian“ auch „Black/African-American“ oder „Weiß“ umfassen.

Nun gehören derartige Kategorisierungen immer zum Kanon der sozialwissenschaftlichen Forschung und werden von der öffentlichen Wahrnehmung gern auf die Minderheiten festgelegt. Doch hört das Zuordnen und Abgrenzen, das Definieren und Kategorisieren an dieser Stelle nicht auf.

Befragt man nämlich die als „Black/African-American“ Bezeichneten selber, stellt man fest, daß diese das weitaus differenzierter betrachten. Dies haben Lee Sigelman und Steven Tuch von der George Washington University und Jack Martin von der Universität von Indiana in einer Studie herausgefunden. Statt „African-American“ bevorzugen die meisten der Befragten schlichtweg den Begriff „Black“, verstehen sich also als Schwarze. Weiße Bürger hingegen, die in der Öffentlichkeit diesen Begriff benutzen, werden schnell als Rassisten oder politisch inkorrekt gebrandmarkt.

In dieselbe Bresche schlägt John McHorter, Linguist und Autor mehrerer Bücher zum Thema Rassenbeziehungen. Er begründet diese Präferenz in einem Artikel in der Los Angeles Times damit, daß die heutigen Nachfahren der Sklaven in den USA weder ihre afrikanischen Vorfahren kannten noch irgend jemanden in ihrem Verwandtschaftskreis haben, der diese kannte. Man sei mit dem Christentum und der Küche der Südstaaten einfach viel näher verwachsen als mit dem Senegal. Ein schwarzer Arbeiter in Cincinnati habe mehr mit einem weißen Arbeiter in Providence gemeinsam als mit einem Ghanesen.

Skurriler Definitionswahn prägt das Zusammenleben

Welch skurrile Blüten dieser Definitions,- und Interpretationswahn treibt, mußte auch der jetzige Präsident Barack Obama erfahren, als er 2004 für das Amt des Senators des Bundesstaates Illinois kandidierte. Sein republikanischer Gegenkandidat, Alan Keyes, beanspruchte für sich, der wahre afro-amerikanische Kandidat zu sein. Denn im Gegensatz zu Obama, der einen schwarzafrikanischen Vater aus Kenia und eine weiße Mutter aus Kansas hat, sei er, Keyes, ein echter Abkömmling afrikanischer Sklaven, ein echter Schwarzer.

Geholfen hat es dem konservativen Katholiken nichts. Er verlor die Wahl, und Obama zog vier Jahre später als der erste schwarze Präsident der USA ins Weiße Haus ein.

Foto: Leben in der South Bronx: Der Zwist zwischen Hispanics, US-Amerikanern afrikanischer Abstammung mit ihren christlichen Wurzeln und den schwarzen muslimischen Einwanderern westafrikanischen Ursprung nimmt stetig zu

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