© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Ein Bordrestaurant ist kein Speisewagen
Ernährung: Foodwatch entlarvt das „Gourmet-Essen“ in der Bahn als profanes Fertigprodukt / Kritik an Mogelpackungen
Volker Kempf

Im Sommer 1936 brauchte der dampfbetriebene Henschel-Wegmann-Zug der Deutschen Reichsbahn (DR) für die Strecke Berlin–Dresden eine Stunde und 41 Minuten. In den Mitropa-Speisewagen gab es damals Deftiges wie Fleischbrühe mit Gemüseeinlage und Pastete für 95 Pfennig oder frisch zubereiteten Kalbsrücken mit Blumenkohl und Röstkartoffeln für 1,80 Reichsmark.

Die Deutsche Bahn AG (DB) braucht mit ihren EC-Zügen baustellenbedingt 36 Minuten länger von der Hauptstadt nach Elbflorenz – dafür ist aber eine umweltfreundliche E-Lok im Einsatz. Im neudeutsch Bordrestaurant genannten Speiseabteil sollen Öko- und Biofreunde auf ihre Kosten kommen. Bio-Gemüse­eintopf mit Hühnerfleisch und Fadennudeln für 9,90 Euro oder die Bio-Rinderroulade Hausfrauenart mit Apfelrotkohl und Salzkartoffeln für 12,90 Euro gehören zu den Standardgerichten.

Im Juni wirbt der hessische Spitzenkoch Mirko Reeh unter dem Motto „Feel Good Food“ für Hühnerbrustfilet im Reisbett mit asiatischer Sauce, Ossobuco auf Safranrisotto mit geschmolzenen Tomaten sowie Möhren-Ingwer Suppe mit Kräuterfrikadelle. Im Mai pries Sarah Wiener als „überzeugte Botschafterin gesunder Ernährung“ Frühlingssüppchen, Sesam-Zitronen-Hühnchen und mit Kerbel-Pesto gefüllte Schweinefleischroulade an. Die Fernsehköchin ist Schirmherrin der Aktion „Haushalt ohne Genfood“ und des „Tierzuchtfonds für artgemäße Tierzucht“.

2007 wurde von ihr die „Sarah-Wiener-Stiftung – Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen“ ins Leben gerufen. Mit dabei sind Ex-Fernsehkoch Alfred Biolek und die Bio-Marke Demeter. Wiener verspricht auf der Internetseite ihrer Stiftung: „Industriell stark verarbeitete Lebensmittel, Fettes und Süßes im Übermaß sowie Nahrung voll chemischer Zusatzstoffe – diese ebenso achtlosen wie ungesunden Eßgewohnheiten gilt es zu stoppen“.

Das ist auch ein Anliegen der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, die dem bei der DB aufgetischten Braten allerdings nicht traut. Was verrät die eingeschweißte Originalverpackung des Rouladen-Gerichts von Sarah Wiener samt Zutatenliste, wie sie vom Wiebelsheimer Convenience-Hersteller Sander Gourmet an die DB geliefert werden? Das Fertiggericht enthält Geschmacksverstärker Hefeextrakt, Verdickungsmittel Xanthan, E 330 (Zitronensäure) sowie nicht näher definierte Aromen.

Verbraucherschützer kritisieren Werbeversprechen

Das ist etwas anderes, als die DB-Werbung verspricht – der Reisende bekomme eine „Mogelpackung“ aufgetischt. Sarah Wiener zeigt sich verärgert über die DB, weil sie in den Zusatzstoffen eine Rezeptänderung sieht. Das sei nicht mit ihr abgesprochen. Die Bahn beruft sich dagegen darauf, daß die von einem Zulieferer nachgekochten Gerichte durch Wiener freigegeben worden seien.

Dies ist nicht der erste Fall, bei dem die Grenzen zur Verbrauchertäuschung ausgelotet werden. Die Breisgaumilch, die neben der Abbildung eines Schwarzwälder Bollenhuts mit dem Spruch „Im Schwarzwald zu Hause“ wirbt, verkaufte vor einigen Monaten Butter, die für den Verbraucher unkenntlich aus dem Allgäu kam. Verbraucherschützer reklamierten, empörte heimatverbundene Kunden füllten die Leserbriefseiten einer südbadischen Regionalzeitung. Die Butter aus Allgäuer Milch wurde wieder aus dem Sortiment genommen. Und die DB, wird sie nun einen Hinweis machen, daß die meisten Gerichte nicht frisch zubereitet werden?

Der aufmerksame Reisende kann ohnehin sehen, daß das Essen meist aus dem Beutel kommt. So geheimnisvoll ist die Bahn nicht. Einen Blick auf die Zutatenliste wird es über die gesetzlichen Ausnahmen hinaus  aber wohl nicht geben. Statt dessen verspricht die DB, ab Juni die „Qualität bei der Produktion“ ihrer „Menükomponenten“ zu verbessern. Statt Hefeextrakt ist nun laut Foodwatch reines Glutamat als Geschmacksverstärker drin. Dafür wird weiter für einen guten Zweck gegessen: 50 Cent pro Aktionsgericht gehen an das Hilfsprojekt „Spitzenköche für Afrika“.

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