© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Der lange Schatten des Bomber Harris
Kampfmittelbeseitigung: Der Schock von Göttingen / Immobilienbesitzer tragen Verkehrssicherungspflicht
Bernhard Knapstein

Das letzte Opfer der alliierten Bomben, die über 1.000 deutsche Städte niederhagelten und etwa 600.000 Deutsche dahinrafften, war vor vier Jahren ein Bauarbeiter, der auf der A3 bei Aschaffenburg mit seiner Fräse einen 250 Kilogramm schweren Blindgänger zur Detonation brachte.

Jetzt hat der unterirdisch lauernde Tod erneut zugeschlagen. Eine von geschätzten 100.000 Bomben, die noch unter unseren Städten und Nachkriegshäusern ruhen, hat vorige Woche Sprengmeister Gerd E. (55), Sprengmeister Thomas G. (52) und Vorarbeiter Torsten E. (38) das Leben gekostet. Auch die größte Erfahrung gab nicht die letzte Sicherheit. Und so detonierte noch während der Vorarbeiten die Fliegerbombe vom Typ SAP 1000 und forderte ihre Opfer. Es war eine von jenen grausamen Bomben mit chemisch-mechanischem Langzeitzünder, die erst explodieren sollte, wenn die Menschen den Bunker verlassen hatten und sich in Sicherheit wiegten, um dann zahlreich zerrissen zu werden.

Noch Tausende Blindgänger in deutschen Städten

Das Flächenbombardement der anglo-amerikanischen Verbände geht auf den britischen Marschall Arthur „Bomber“ Harris zurück, der den zynischen Satz prägte: „Ich töte jede Nacht Tausende Menschen.“ In Dresden, Köln oder dem Ruhrgebiet erzeugt dieser Satz noch heute bei Überlebenden Alpträume. Allein in Hamburg haben bei der „Operation Gomorrha“ 1943 im Schnitt je Quadratkilometer 39 Minen, 803 Sprengbomben und 94.429 Stabbrandbomben den Boden erreicht und einen Feuersturm erzeugt, der sich 1.000 Grad heiß mit bis zu 66 Metern pro Sekunde durch die Straßen fraß und Menschen zu Asche zerfallen ließ. Der tragische Fall in Göttingen hat dieses Grauen in unsere Erinnerung zurückgeholt. Das ganze Land ist geschockt.

Allzu leicht vergessen wir, daß der Boden, auf dem unsere Kinder spielen, auf dem wir gehen oder fahren und auf dem wir vielleicht sogar bauen wollen, hochexplosiv sein kann. Und wenn man morgens in der Zeitung liest, dieses oder jenes Stadtviertel wurde zum Zwecke der Bombenentschärfung vorübergehend evakuiert, dann wird das zuletzt eher als urbane Routine beiläufig zur Kenntnis genommen.

Doch nun hat uns die Realität eingeholt: Der Zweite Weltkrieg ist auch 65 Jahre nach seinem Ende noch nicht aufgearbeitet. Tatsächlich sind allein in Berlin 17 und in Hamburg sogar 30 Sprengstoffexperten beschäftigt. Im Schnitt wird jeden Tag in Deutschland eine Bombe gefunden. Ein- bis zweimal im Jahr kommt es zu Selbstzündungen. Auch die letzten Bomben – in Hamburg und Berlin werden jeweils noch 3.000 Blindgänger vermutet – müssen daher aufgespürt und beseitigt werden.

Drei von vier dieser Blindgänger, die sich bis zu fünf Meter tief in die Erde gebohrt haben, werden durch die gezielte Suche gefunden und können dann entschärft oder kontrolliert gesprengt werden. Dabei helfen auch die von den Alliierten aufgenommenen Luftbilder, für deren Kopien deutsche Behörden den Briten viel Geld bezahlen. Die Räumung explosiver Hinterlassenschaften verursacht in Deutschland jedes Jahr Kosten in insgesamt dreistelliger Millionenhöhe.

Kostspielig kann es dabei auch für Häuslebauer oder Immobilienbesitzer werden. Grundsätzlich besteht eine Verkehrssicherungspflicht, das heißt der Immobilienbesitzer muß bei einer Gefahrenlage in seinem Verantwortungsbereich entsprechende Vorkehrungen treffen, um die Schädigung Dritter zu verhindern. „Im Fall eines Falles besteht eine Anzeigepflicht“, erklärt der Kölner Rechtsanwalt und erfahrene Verwaltungsrechtsexperte Jochen Lober. „Im Bebauungsverfahren werden bekannt gewordene Bombenflächen allerdings schon als sogenannte Verdachtsflächen geführt.“ Die Untersuchung zur Bomben-Ortung ist dann Pflicht. Sie ist aber auch sinnvoll. Wer möchte schon auf Bomben bauen? In der Regel zahle der Staat die Kosten für die Räumung, erläutert Rechtsanwalt Lober.

Kampfmittelräumung ist Ländersache

Eine Ausnahme davon bildet allerdings der Freistaat Thüringen. Da die Kampfmittelräumung Ländersache ist und die Gebietskörperschaften generell über klamme Kassen verfügen, hat das Bundesland die Suche und Beseitigung von Kampfmitteln bereits im Jahr 1996 privatisiert. In Thüringen muß der Grundstückseigner selbst in die Tasche greifen.

Auf die Räumung sind Privatunternehmen wie die Firma Tauber spezialisiert. Ein Blick in die Luftbilder kostet hier rund 125 Euro, die unmittelbare Bodenuntersuchung etwa 500 Euro. Zusätzlich trägt der Auftraggeber die Kosten der Sprengstoffbeseitigung sowie die Fahrt- und Personalkosten. Bei Betriebsgeländen ist auch der Produktionsausfall zu berücksichtigen. Das klingt für manchen Grundstückseigentümer noch machbar. Aber je nach Typ und Lage der Bombe kann das Procedere der Bombenbergung, -entschärfung und -räumung in Härtefällen bis zu einer Viertelmillion Euro kosten. Sollte die Bombe detonieren und die eigene Immobilie betroffen sein, kann es naturgemäß noch teurer werden.

Die Kampfmittelbeseitigungsfirma haftet zwar gegenüber dem Grundstücks­eigentümer für Vertragsverletzungen und für vorsätzliche und fahrlässige Schädigungen nach den deliktsrechtlichen Normen des BGB. Die kontrollierte Sprengung vor Ort mit unvermeidbaren Sachschäden, für die der Dienstleister nicht haftet, ist aber zumindest denkbar. Wahrscheinlich noch für die kommenden 20 Jahre wird sich Deutschland mit dem Auffinden und der Beseitigung der rund 100.000 Blindgänger beschäftigen. Erst dann wird das Risiko sinken und auch der lebensgefährliche Beruf des Sprengmeisters seltener werden.

Weitere Informationen: www.jungefreiheit.de

Foto: Rettungseinsatz nach Bombenexplosion in Göttingen: Jährliche Kosten in dreistelliger Millionenhöhe

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