© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Fußball kann das Land nicht einen
Südafrika: Nur wenige kritische Zwischentöne bei einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung
Alexander Lechler

Wir werden eine Gesellschaft errichten, in der alle Südafrikaner, Schwarze und Weiße, aufrecht gehen können, ohne Angst in ihren Herzen, in der Gewißheit ihres unveräußerlichen Rechtes der Menschenwürde – eine Regenbogennation im Frieden mit sich selbst und mit der ganzen Welt.“ So die Worte Nelson Mandelas anläßlich seiner Vereidigung 1994.

Glaubt man den Ausführungen des Honorarkonsuls der Republik Südafrika für Sachsen und Sachsen-Anhalt, Wolfram Scharff, wurden diese Ziele zu einem erheblichen Teil bereits erreicht. „Für Touristen ist das Land ungefährlich, Gewalt kann einem auch in Deutschland widerfahren“, erklärte Scharff auf dem Seminar „Fußball-WM 2010 in Südafrika: Der afrikanische Kontinent im Blickpunkt“ der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Weimar. Darüber hinaus schenke er beispielsweise der südafrikanischen Polizei mehr Vertrauen als russischen Beamten.

Angesichts von jährlich 18.000 Morden in Südafrika sind dies nicht gerade beruhigende Vergleiche. Daß 2009 612 Menschen durch Polizeieinwirkung ums Leben kamen, darunter mehr als 300 in Polizeigewahrsam, widerspricht ebenfalls Scharffs Befund. Die gesellschaftliche Transformation sah der ansonsten mit Umweltdiagnostik befaßte Professor ebenfalls unkritisch, schließlich würden „Weiße nicht in dem Maße verdrängt, wie dies in anderen Staaten der Fall war“. Damit konfrontiert, daß seit 1991 2.000 weiße Farmer ermordet wurden (JF 23/10) und andere aufgrund der Gewalt das Land verlassen, reagiert Scharff wenig souverän, zweifelte sogar die Zahlen an.

Eine Mitarbeiterin des Konsuls entgegnet auf Nachfrage allerdings, daß sie während der Fußball-WM sogar mit einer Steigerung der Kriminalität rechne, auch 41.000 zusätzliche Polizisten würden nichts ändern. Zahlreiche Fußballprominente wollen ihre Familien deshalb nicht mit nach Südafrika nehmen. Ausbleibende Touristen könnten so zu einem finanziellen Problem werden, schließlich rechnet man mit 350.000 Fußballfans, die 9,8 Millionen Rand ausgeben sollen. Bereits beim Confederations Cup 2009 blieben viele Sitze leer.

Die afrikanischen Staaten zehren von ihrer Substanz

Trotz der zahlreichen neuen Arbeitsplätze könnte das WM-Turnier so einen öffentlichen Schuldenberg hinterlassen. Das beschauliche Montréal, Austragungsort der Olympischen Spiele von 1976, erholte sich erst 30 Jahre später von seinen Schulden. Henning Suhr, KAS-Referent für das südliche Afrika, erwartet jedenfalls keinen wirtschaftlichen Vorteile für Südafrika, vielmehr gehe es um „nicht meßbare Werte“.

Damit war wohl die Rassenversöhnung und Nationenbildung gemeint. Doch auch bei diesen nicht meßbaren Werten kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Weltmeisterschaft alles zum Positiven verändern wird. Selbst der einzige weiße Spieler der südafrikanischen Nationalmannschaft, Matthew P. Booth, glaubt nicht an die Überwindung der gespaltenen Nation. Der Gewinn der Rugby-Weltmeisterschaft 1995 im eigenen Land habe die Nation auch nur für einen Moment, im Finale, geeint. Am Ende war das Land so geteilt, wie es vorher geteilt war und noch heute geteilt ist.

Der Weg einer Einigung kann nur über die wirtschaftliche Entwicklung erfolgen. Mittlerweile ist Südafrika sogar auf Lebensmittelimporte angewiesen, Fachkräfte fehlen, die Lebenserwartung sinkt. Bis 2015 werden insgesamt 5,4 Millionen Südafrikaner an Aids gestorben sein, in der Altersgruppe zwischen 15 und 49 wird die HIV-Infektionsrate bereits heute auf über 18 Prozent geschätzt: Fakten, die nicht gerade darauf schließen lassen, daß in dem Land mittelfristig mit einem Aufschwung zu rechnen ist, wenngleich die Wachstumsraten vor der weltweiten Finanzkrise bei über fünf Prozent lagen.

Ein weiterer Redner der KAS-Veranstaltung in Weimar, der ehemalige Leiter der Adenauer-Stiftung in Uganda, Rolf Hilberer, drückte es anders aus. „Kein Staat in Afrika hat es geschafft, den Entwicklungsstand zu halten, den er am Tag der Unabhängigkeit erreicht hatte.“ Die Staaten zehren demnach von der Substanz ihres kolonialen Erbes. So ergeht es auch Südafrika. Die von Mandela 1994 heraufbeschworene Gesellschaft dürfte demnach noch eine ganze Weile auf sich warten lassen.

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