© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Friedlose Gewässer
Nahost-Konflikt II: Jede Regierung hat das Recht zu verhindern, daß eine Terror-Organisation, die ihr Land bedroht, mit Waffen beliefert wird
Martin van Creveld

Jeder, der das Pech hatte, je mit ihnen zu tun zu haben, weiß, daß Friedensapostel eine Geißel sein können. Sie kommen von Gott weiß woher, stecken ihre Nase in Gott weiß welche Angelegenheiten, verschwinden Gott weiß wohin und lassen Gott weiß welches Chaos zurück. Alles auf Kosten anderer Leute und in der Regel ohne jedwede positiven Ergebnisse – außer daß sie damit ihre Freundinnen beeindrucken.

Und – kaum überraschend – so war es diesmal wieder: Nach der Wiederwahl Angela Merkels 2008 hat sogar der kurzsichtigste Türke begriffen, daß sein Land niemals in die EU aufgenommen werden wird. Derart zurückgewiesen, hat sich die Türkei folglich dem Iran und der arabischen Welt zugewandt. Ankara hat sich damit auch gegen Israel gewandt, ein Land, mit dem die Türken lange Zeit exzellente Beziehungen unterhalten haben und das sie mit einem Teil ihrer modernsten Waffen ausgerüstet hat.

Die Würfel waren also gefallen, das Schicksal nahm seinen Lauf. Bislang hat Israel meist erfolgreich verhindert, daß „humanitäre“ Hilfe den Gaza-Streifen erreicht. Und zwar leise und effektiv, ohne Verluste und mit geringem Aufwand. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, daß es – soweit ich weiß – kein Völkerrecht gibt, welches einer Regierung verbietet zu verhindern, daß eine Terror-Organisation mit Waffen beliefert wird, mit der sie sich im Krieg befindet und die ihr Staatsgebiet beinahe täglich mit Raketen und Mörsergranaten beschießt. Die Frage war: Wie stellt man es an? 2002 etwa brachten israelische Kommandoeinheiten die „Karin A“ auf, ein Schiff aus dem Iran mit Kurs Rotem Meer und beladen mit Waffen für die PLO, um den Kampf der sogenannten Zweiten Intifada zu unterstützen. Der kommandierende Offizier, Eliezer Marom, inzwischen Oberbefehlshaber der israelischen Seestreitkräfte, griff offensichtlich auch diesmal auf die damals angewandte Taktik zurück: Fünf Schiffe wurden aufgebracht, ohne daß ein Schuß fiel.

Nicht so beim sechsten, einem viel größeren Fahrzeug mit etwa 600 Passagieren an Bord, darunter gewaltbereite Türken und Araber. Die Israelis begriffen einfach nicht, womit sie es wirklich zu tun hatten. Da sie schon nicht das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatten, hätten sie besser auf eine erdrückende Übermacht und oder ein Täuschungsmanöver gesetzt. Oder sie hätten Tränengas einsetzen sollen, bevor sie das Schiff enterten. Doch statt dessen drückten sie ihren Seesoldaten Paintball-Waffen in die Hände und ließen sie einen nach dem anderen von einem Hubschrauber herab. Kaum an Deck, wurden diese jedoch angegriffen und beinahe totgeschlagen. Bei dem Versuch, das „Gefecht“ zu beenden, töten die Kommandosoldaten neun Menschen und verwundeten einige weitere. Sie selbst hatten sechs Verwundete zu beklagen.

Was aus diesem Zwischenfall letztlich folgt, bleibt abzuwarten. Sicher ist allerdings, daß die israelische Einheit den Einsatz vermasselt hat. „Das ist schlimmer als ein Verbrechen, das ist ein Fehler“, wie einst der Diplomat Talleyrand zu Napoleon gesagt haben soll. Alles weitere wird die Zukunft zeigen. Vielleicht wird die Aktion die Israelis auch dazu bringen, nachzudenken, ob sie die Gaza-Blockade wirklich aufrechterhalten wollen, und falls ja, zu welchem Preis. Vielleicht werden die Organisatoren der nächsten „Solidaritätsflotte“ es sich nun zweimal überlegen, ob sie wieder zu Gewalt greifen – und tatsächlich, sie haben schon erklärt, das zu tun. Währenddessen kritisiert die ganze Welt Israel. Aber daran sind die Juden schließlich seit langem gewöhnt.     

 

Prof. Dr. Martin van Creveld ist israelischer Militärhistoriker. Sein jüngstes Buch „Gesichter des Krieges“ (Siedler) erschien 2009. In der JF 39/06 schrieb den Beitrag „Lektion gelernt“ über den Ausgang des Libanonkrieges 2006.

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