© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

Das meinen die anderen

„Es explodiert aus den bürgerlichen Intellektuellen geradezu die Sehnsucht heraus nach einem Deutschland, in dem die Intellektuellen eine politische Rolle spielen, die sich nicht im Feuilleton erschöpft. Es ist die Sehnsucht nach einer Art Mischung aus Vaclav Havel und Helmut Schmidt, nach einer Politik, in der Macht und Geist, das Paar, das in Deutschland wohl nie zusammenzufinden scheint, einträchtig Seit an Seit des deutschen Staates stehen. (…) Man mag diese Sehnsucht als typisch deutsche und intellektuell überhebliche Verachtung der Parteienpolitik schelten, man mag diese Sehnsucht als naiv belächeln, man mag in Joachim Gauck auch nicht die Person von einer solchen Grandessa erkennen, die diese Sehnsucht stillt – aber die Sehnsucht ist da. Und vor allem – sie wird nicht vom Typus des westdeutschen Karrierepolitikers gestillt. Im Gegenteil, sie wird einem dadurch nur noch schmerzhafter bewußt.“

Tagespost, 8. Juni

 

 

„Wulff, das sei empfindlichen Gemütern als Warnung mitgegeben, verträgt man besser, wenn man Gauck ignoriert. Wagt man aber den Schritt, zu Gaucks Erinnerungen zu greifen oder sich eine seiner vielen, auf Youtube verfügbaren Reden anzusehen, kommt der Schock: So geht das also auch? Und dann geht es einem, wenn man Wulff betrachtet, nicht gut. (…) Gauck ist zugleich ein Intellektueller, der ein originäres, begeisterndes Verständnis von christlicher Politik, von Liberalismus und Bürgerlichkeit entwickelt hat. Die drei Parteien, die in diesen Traditionen zu stehen vorgeben, werden ihn aber nicht zum Bundespräsidenten wählen. Das ist intellektuell nicht zu begründen, also denken sie am besten nicht drüber nach. Jedes Innehalten scheint derzeit die Gefahr des Absturzes zu bergen.“

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5. Juni

 

 

„Joachim Gauck ist ein guter und versöhnlicher Vorschlag der rot-grünen Opposition. Gut ist, daß Gauck nicht aus der rot-rot-grünen Küche kommt. Gut ist, daß sich mit diesem Kandidaten nicht nur Sozialdemokraten und Grüne, sondern auch christliche Demokraten und Konservative anfreunden können. Und gut ist auch, daß er wie kaum ein anderer im zwanzigsten Jahr der Einheit ein wirklich gesamtdeutscher Kandidat ist. Er beherrscht die Kunst der öffentlichen Rede. In einem elend parteilichen, das Bürgertum unterdrückenden Staat aufgewachsen, weiß er, was es heißt, alle zu repräsentieren: den Linken und den Rechten, den Reichen und den Armen, den Zuversichtlichen und den Besorgten. Er verkörpert – mit Charme und Würde – die Erfahrung der Freiheit. Es ist der Republik zu wünschen, daß er der zehnte Bundespräsident wird.“

Die Welt, 4. Juni

 

 

„Er gehört zu den Menschen, die ohne Zweifel das Zeug zum Bundespräsidenten hätten – mindestens, was das Charisma betrifft. Er gehört auch zu denen, die seit Jahren immer wieder genannt werden, wenn das höchste Amt im Staat neu zu besetzen ist. Nur ankommen wird Joachim Gauck wohl nie in diesem Amt. Den Theologen scheint das wenig zu bekümmern, er hat schließlich noch selten auf der Seite der Mächtigen gestanden. (…) Gauck hat kaum eine Chance, aber es ist zu erwarten, daß er bei seiner 30-Tage-Bewerbung eine ziemlich gute Figur abgibt. Mit 70 Jahren zählt Joachim Gauck zwar nicht eben zu den Nachwuchskräften der Republik. Aber wer ihn je hat reden hören, der weiß, daß dieser Kapitänssohn aus Rostock einer ist, der Menschen aller Generationen gewinnen kann. Reden ist seine große Gabe, er hört sich auch gern dabei zu, und er streitet leidenschaftlich gern.“

Süddeutsche, 4. Juni

 

 

Linkspartei nominiert Luc Jochimsen

BERLIN. Die Linkspartei hat am Dienstag die Journalistin  Lukrezia „Luc“ Jochimsen, die seit 2005 für die Partei im Bundestag sitzt, für die Wahl zum Bundespräsidenten nominiert.Von 1975 bis 1985 war Jochimsen Redakteurin des ARD-Magazins „Panorama“, von 1994 bis 2001 Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks. Bei ihrer Vorstellung sagte die Linkspartei-Politikerin, sie stehe als Kandidatin für drei Dinge: Als „Friedensstifterin“, die sich für eine friedlichere Gesellschaft, nach innen und nach außen, engagiere; als „Vereinigerin“ von Ost und West, die sich darum bemühe, daß die Vereinigung auch im Bewußtsein der Menschen stattfinde und dadurch etwas Besseres entstehe; und als „Schrimherrin“ für die Schwachen und Benachteiligten. „Ich bin ein Kind der amerikanischen Reeducation“, sagte die 74 Jahre alte Jochimsen mit Blick auf ihrer Biographie. Wie schon im vergangenen Jahr bei der Wiederwahl von Horst Köhler schickt die NPD den Liedermacher Frank Rennicke ins Rennen. Die NPD, die in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vertreten ist, entsendet drei Wahlmänner in die Bundesversammlung nach Berlin.

 

Prominente für Bundesversammlung

Berlin. Aus Angst vor Abweichlern in den eigenen Reihen verzichtet die Union bei der Nominierung ihrer Mitglieder für die Bundesversammlung offenbar auf prominente Nicht-Politiker. Die CSU kündigte an, die früheren Spitzenpolitiker Edmund Stoiber und Theo Waigel als bekannteste Wahlmänner zu benennen. Die SPD nominierte dagegen unter anderem den Präsidenten des Fußballvereins VfB Stuttgart, Erwin Staudt, den Schauspieler Walter Sittler sowie den Verleger Gerhard Steidl. Der Parlamentarische Geschäftsführer des SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, warf CDU und CSU vor, nur Abgeordnete und Parteimitglieder in das Wahlgremium zu entsenden. „Offenbar hat die Koalition große Angst davor, daß die Wahl des Bundespräsidenten genutzt wird, Schwarz-Gelb einen Denkzettel zu geben“, sagte Oppermann. Die Bundesversammlung setzt sich aus den 622 Abgeordneten des Bundestages sowie aus weiteren 622 Mitgliedern zusammen, die von den 16 Landesparlamenten benannt werden. Diese Gelegenheit wird von den Parteien traditionell dazu genutzt, prominente Künstler, Schauspieler oder Sportler in das Wahlgremium zu entsenden.

 

Maximal drei Wahlgänge

Berlin. Angesichts der breiten Zustimmung für den von SPD und Grünen als Bundespräsidentenkandidat nominierten Joachim Gauck ist das Wahlverfahren der Bundesversammlung in den Blick geraten. Vorgesehen sind maximal drei Wahlgänge. Erreicht weder im ersten noch im zweiten Wahlgang einer der Kandidaten die absolute Mehrheit der 1.244 Wahlmänner, kommt es zum abschließenden dritten Urnengang, bei dem die einfache Mehrheit ausreicht. Zu einem solchen dritten Wahlgang ist es seit 1949 bisher zweimal gekommen: 1969 bei der Wahl von Gustav Heinemann (SPD) und 1994 bei der Wahl von Roman Herzog (CDU).

 

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Köhler-Nachfolge

Wer wäre das bessere Staatsoberhaupt?

Joachim Gauck 85,1 %

Christian Wulff 14,9 %

abgegebene Stimmen gesamt: 3289

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