© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/10 11. Juni 2010

„Im Amt des Bundespräsidenten scheitern“
Burkhard Hirsch, der große alte Mann der FDP, zur Krise nach Köhler
Moritz Schwarz

Herr Dr. Hirsch, wären Sie mit Christian Wulff oder Joachim Gauck als neuem Bundespräsidenten zufrieden?

Hirsch: Wichtig ist allein, daß sich möglichst viele Fraktionen der Bundesversammlung auf den Kandidaten verständigen können, der am 30. Juni gewählt wird.

Wer wäre denn Ihr Wunsch-Kandidat?

Hirsch: Schwere Frage ... Ich hatte spontan an Bundestagspräsident Norbert Lammert gedacht.

Sie waren selbst Vize-Präsident des Deutschen Bundestages. Sind denn beide Ämter vergleichbar?

Hirsch: Nein, der Bundespräsident muß reden können, um zu überzeugen, der Bundestagspräsident schweigen können, um sich das Vertrauen des Plenums zu erhalten.

Zuletzt war mit Walter Scheel ein Liberaler von 1974 bis 1979 Bundespräsident. Wäre nach 31 Jahren – in einer schwarz-gelben Konstellation – nicht einmal wieder ein FDP-Mann an der Reihe?

Hirsch: Wie gesagt, bei der Wahl des Bundespräsidenten kommt es nicht darauf an, welcher Fraktion er nahesteht, sondern daß es jemand ist, der das Vertrauen möglichst vieler politischer Kräfte genießt. Ich spreche natürlich von den demokratischen Kräften, das ist ja klar. Dann allerdings spielt es keine Rolle, ob der Kandidat etwa Mann oder Frau oder ob er oder sie evangelisch oder katholisch ist, oder ob und welches Parteibuch er oder sie hat. Wichtig ist statt dessen: erstens, daß er Vertrauen genießt. Zweitens, daß er die Gabe hat, wirklich zu den Bürgern sprechen zu können. Und drittens, daß er auch von diesen gehört wird.

Das alles traf auf Horst Köhler zu, und so wurde sein Rückzug von vielen Bürgern als Erschütterung empfunden: als das Offenbarwerden einer tiefer wurzelnden Krise.

Hirsch: Erschütterung ist zwar das richtige Wort. Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland das erste Mal, daß jemand ohne allgemein überzeugenden Grund dieses außerordentlich wichtige Amt Knall auf Fall verläßt. Aber Ihre Schlußfolgerung teile ich nicht.

Erst tritt Roland Koch zurück, dann der Bundespräsident, Ole von Beust denkt angeblich darüber nach und nun schmeißt auch noch Christian Wulff als Ministerpräsident hin. Viele Bürger haben das Gefühl, daß da gestandene Politiker aus der Verantwortung fliehen.

Hirsch: Nun ja, normalerweise werfen die Bürger den Politikern vor, daß sie an ihren Sesseln kleben. Jetzt machen mal zwei von ihnen das Gegenteil, und Sie machen gleich eine Staatskrise daraus.

Ein Hauch von Staatskrise umweht Horst Köhlers dramatischen Schritt und die nun überstürzt einzuberufende Bundesversammlung allerdings für viele Bürger allemal.

Hirsch: Mit einer Staatskrise hat das nichts zu tun. Diese wäre allenfalls dann gegeben, wenn die Politik nicht in der Lage wäre, diese Position in angemessener Form neu zu besetzen.

Die Staatkrise der Weimarer Republik bestand auch nicht darin, daß die Ämter nicht besetzt werden konnten, sondern daß die Politik sich innerlich zurückzog: So zerbröselte die Substanz, und die Nationalsozialisten stürmten 1933 eine fast aufgegebene Festung.

Hirsch: Dieser Vergleich scheint mir viel zu hoch gegriffen. Herr Koch etwa hat sich in seinem Alter für etwas Neues entschieden, warum nicht? Das wird von vielen Bürgern begrüßt. Ich sehe keine Veranlassung, Parallelen zur Weimarer Republik zu ziehen. 

Ist denn Horst Köhler etwa tatsächlich nur wegen seiner inkriminierten Interview-Äußerungen zurückgetreten?

Hirsch: Genau das müßte man untersuchen. Sie haben recht, daß der angegebene Anlaß und seine Reaktion nicht kompatibel sind. Ich bedauere seinen Rücktritt und habe Respekt vor seiner Amtsführung – ich fand sie gut.

Also muß es irgendeine tiefe Vertrauenserschütterung bei Horst Köhler gegeben haben, die ihn offenbar derart entmutigte, daß er eine weiteres Dagegenankämpfen für aussichtlos gehalten hat. Tritt da nicht eine krisenhafte Situation zutage?

Hirsch: Auch ich habe mich gefragt, ob Bundespräsident Köhler denn zum Beispiel bei den schwerwiegenden Auseinandersetzungen um den Euro in vernünftiger Weise konsultiert worden ist, oder ob er da bewußt in eine „Friß, Vogel, oder stirb“-Lage gedrängt wurde. Das sollte und wird sicherlich noch aufgeklärt werden.

Wie haben Sie denn die kritisierten Interview-Äußerungen des Bundespräsidenten zur Bundeswehr bewertet?

Hirsch: Ich teile seine Auffassung nicht – falls er nicht tatsächlich mißverstanden worden ist –, daß man die Bundeswehr zur Durchsetzung nationaler ökonomischer Interessen einsetzen können müßte. Das wäre nicht nur ein Bruch des Völkerrechts, sondern ein katastrophaler Fehler. Ich habe mich allerdings gewundert, daß man auf Köhlers Bemerkung so heftig reagiert hat, während man auf ein sicherheitsstrategisches Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 5. Mai 2008 fast gar nicht reagiert hat, obwohl dieses in der kritisierten Frage noch sehr viel weiter geht. Ich meine, es wäre jetzt der Zeitpunkt, daß die CDU/CSU-Fraktion einmal klarstellt, was sie mit diesem Papier eigentlich tatsächlich gemeint hat! Das schuldet sie uns und dem Präsidenten.

Kommentatoren bezeichneten Köhlers Rücktritt letzte Woche als „Schicksalstage für die Regierung Merkel“.

Hirsch: Auch das ist entschieden zu hoch gegriffen. Es geht nicht um die Regierung Merkel, sondern um das Amt des Bundespräsidenten.

Aber die meisten Kommentatoren sind sich einig, daß die Ausdünnung des Personals rund um Frau Merkel auch ihre Regierung schwächer macht.

Hirsch: Diese Ansicht teile ich nicht, weil es falsch ist, den Bundespräsidenten für einen Teil der Bundesregierung zu halten.

Horst Köhler wurde von Beginn an als strategisch wichtige schwarz-gelbe Bastion gesehen.

Hirsch: Diese Identifikation zeigt mir nur, wie falsch es wäre, den Bundespräsidenten direkt zu wählen ...

... ein Vorschlag Horst Köhlers ...

Hirsch: ... denn dann würde das Amt des Bundespräsidenten noch mehr zum Gegenstand eines Parteienstreits, was seinem Ansehen noch abträglicher wäre.

Würde der nächste Präsident am 30. Juni vom Volk direkt statt von der Bundesversammlung gewählt, wäre seine Position vielleicht so stark, daß er sich in einer Situation wie der, in der  Horst Köhler zuletzt war, nicht mehr genötigt sehen würde aufzugeben.

Hirsch: Tja, wir haben aber nun mal keine Präsidialdemokratie, sondern aus guten Gründen den Bundespräsidenten auf eine repräsentative Funktion beschränkt – wenn auch mit wenigen, allerdings bedeutenden Machtfunktionen, die aber alle außerhalb des politischen Alltags liegen.

Zeigt nicht die stetig wachsende Zahl von Nichtwählern, daß wir eine Vertrauenskrise haben? Wie wollen Sie diese bekämpfen, wenn Sie sich gegen Reformvorschläge stellen?

Hirsch: Es stimmt, daß die Zahl der Nichtwähler wächst, aber man kann nicht daraus schließen, daß alle Nichtwähler unzufrieden sind. Es gibt auch Nichtwähler, die nicht wählen, weil sie zufrieden sind und keine Veränderung wünschen. Aber es stimmt, die Wahlbeteiligung ist inzwischen so gering, daß die Repräsentanten der Mehrheit in den Parlamenten sich nicht mehr auf eine Mehrheit in der Bevölkerung stützen können, und das reicht eigentlich für die Verankerung einer Demokratie nicht aus. Daher glaube ich, daß unsere Demokratie mehr auf die Bürger zugehen muß.

Also doch eine Direktwahl des Bundespräsidenten?

Hirsch: Nein, aber etwa Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene und die Möglichkeit, bei Wahlen die Reihenfolge der Reservelisten der Parteien zu ändern.

Dann wäre aber etwa das Rettungspaket für Griechenland wohl nie zustande gekommen.

Hirsch: Gut möglich, ebenso wie der Lissabon-Vertrag. Das ist kein Umstand, der mich besonders ärgern würde. Der Lissabon-Vertrag sieht etwa vor, daß man eine Million Stimmen aus verschiedenen EU-Ländern sammeln muß, um zu erreichen, daß die EU-Kommission sich mit einem politischen Thema befaßt. Das ist lächerlich! Denn wenn man so was schon macht, dann muß auch eine unmittelbare politische Folge aus einem Volksbegehren erkennbar sein. Und das EU-Parlament hat nicht einmal ein Initiativrecht – das ist 19. Jahrhundert!

Und das Euro-Rettungspaket für Griechenland halten Sie für falsch?

Hirsch: Ich hätte nicht zugestimmt. Man sollte einen Schuldner veranlassen, zunächst einmal zu seinen Gläubigern zu gehen: Wenn Griechenland pleite ist, wäre der richtige Weg gewesen, daß Athen sich an die Banken und Investment-Fonds wendet, die die Anlagen gezeichnet haben, um ihnen zu sagen, daß man leider nur einen Teil zurückzahlen kann. Wie kommt der deutsche Steuerzahler und die öffentliche Hand überhaupt dazu, den Banken die Risiken abzunehmen? Sie haben die Anleihen nicht aus Nächstenliebe gezeichnet, sondern wegen der hohen Rendite. Und wer sein Geld zu einem überproportionalen Zinssatz anlegt, der hat eben auch ein hohes Risiko.

Dann hat die Bundesregierung verantwortungslos gehandelt?

Hirsch: Das kann man so nicht sagen, sie hat eine andere Meinung vertreten als ich. Aber diese andere Meinung hat man in fast allen EU-Ländern. Und eine Regierung muß schon auch immer überlegen, ob sie eine Entscheidung treffen will, mit der sie sich eventuell in der EU isoliert.

Sehen wir unser Geld wieder?

Hirsch: Ich teile die Meinung von Herrn Ackermann, daß es Griechenland nicht gelingen wird, seine Verpflichtungen binnen drei Jahren zu erfüllen.

Das wäre genau das, was die Wähler frustriert: Die Politik beschönigt, und das dicke Ende kommt doch!

Hirsch: Tut mir leid, in diesem Zusammenhang interessiert mich nicht der Wähler, sondern allein die Stabilität des Euro.

Zum Schluß: Nach dem eher konservativen Horst Köhler kommt nun, wenn es nach Angela Merkel geht, der „liberale und weltoffene“ – so Michel Friedman – Christian Wulff. Verliert die Merkel-Regierung damit ihr allerletztes konservatives Moment?

Hirsch: Nochmal: Die Wahl des Bundespräsidenten unter parteipolitischen Gesichtspunkten zu betrachten, halte ich für falsch! Solche Gesichtspunkte können nicht die Kriterien einer verantwortungsbewußt handelnden Bundesversammlung sein.

Köhler war parteifern und hat sich als erstaunlich unabhängig erwiesen. Wenn nun statt Gauck wirklich Wulff, also wieder ein Kandidat aus der Mitte der Partein, gewählt wird, verliert dann das Amt damit nicht das Ansehen und Profil, das ihm Köhler gegeben hat?

Hirsch: Das ist mir zu voreilig. Wir wissen doch gar nicht, wie die Wahl am 30. Juni tatsächlich ausgeht. Jetzt warten wir doch ab, was kommt! Es stimmt, daß parteipolitische Erwägungen oft eine entscheidende Rolle bei Auswahl und Wahl der Kandidaten gespielt haben. Aber sobald diese Logik die Oberhand gewinnt und der Kandidat zum Mann einer Partei wird, wird er in seinem Amt als Bundespräsident scheitern.

 

Dr. Burkhard Hirsch, der ehemalige Bundestagsvizepräsident, FDP-Bundesvorstand und Innenminister von Nordrhein-Westfalen gilt als „Liberaler im besten Sinne des Wortes“ (SZ) und FDP-Urgestein. Seine Partei vertrat der Jurist zunächst als Landesvorsitzender, Minister und stellvertretender Ministerpräsident von NRW, dann – bis 1998 – als Abgeordneter und Vizepräsident des Deutschen Bundestages. 1992 unterlag er beim innerparteilichen Kampf um das Amt des Bundesjustizministers Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Geboren wurde Hirsch 1930 in Magdeburg.

Foto: Liberaler Hirsch: „Das reicht eigentlich für die Verankerung einer Demokratie nicht mehr aus“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen