© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Stalins Schreckensregime: Eine Serie von Andrzej Madela / Teil 4
Am Ende gibt es nur noch Stalin
Den Säuberungen in der KPdSU folgen die Vernichtung der internationalen KP-Führung und eine flächendeckende Mordaktion des NKWD-Geheimdienstes

Der erste Moskauer Schauprozeß gegen die 16 ehemaligen hohen Parteifunktionäre mit Grigorij Sinowjew und Lew Kamenew vom August 1936 bleibt in seiner sorgfältig auf Breitenwirkung bedachten Regie ein Einzelstück. Da echte Schuldbeweise und Ermittlungen fehlen, müssen die Angeklagten ihre Geständnisse auswendig lernen. Dem Auftritt im Gericht geht ein Probeverhör voraus, das erweisen soll, wie gut der Angeklagte seinen Text beherrscht. Der Apparat kann noch (unter den zunächst etwa 300 festgenommenen Ex-Funktionären) vorsortieren, hat noch Zeit für differenzierte Rollenverteilung und individuelle Vorbereitung der Angeklagten und legt noch Wert auf Übereinstimmung zwischen Anklage und Geständnis folglich auf Eigenschaften, die den Schauprozessen der Jahre 1937 bis 1938 abgehen. Offensichtlich macht Stalin die nachfolgenden von der Reaktion auf den ersten abhängig. Da ein hartnäckiger Widerstand seiner eingeschüchterten Kritiker nicht mehr erkennbar ist, kann er nun auf Massendurchlauf abstellen und die Feinheiten der Regie von 1936 vernachlässigen.

Die wichtigste Änderung beim zweiten Prozeß betrifft 1937 das Milieu. Waren es im ersten die Theorieköpfe der alten Garde, so sind es diesmal die Galionsfiguren der industriell-technischen Oligarchie. Hauptangeklagter in dem am 23. Januar 1937 beginnenden Prozeß der 17 ist diesmal Jurij Piatakow, seines Zeichens stellvertretender Volkskommissar für Schwerindustrie, faktisch oberster Industrialisierer des Landes und Urheber der 1930 in Angriff genommenen Modernisierung. Wie sein Vorgesetzter Grigori Ordschonikidse ist Piatakow Aushängeschild des gemäßigten, pragmatischen Flügels der Partei. Im Gegensatz zu Sinowjew und Kamenew führt er jedoch keine Fraktion an, die in einer Auseinandersetzung mit Stalin steht. Seine einzige Differenz mit diesem betrifft nicht das Ziel, sondern lediglich die sozialen Kosten der Modernisierung.

Ein letztes Aufbäumen von Stalins Kritikern im Zentralkomitee endet, unmittelbar nach den Todesurteilen im Prozeß gegen die 17, mit einer Niederlage. Das Plenum beschließt mehrheitlich, Rykow, Bucharin und Jagoda aus dem ZK auszuschließen, und ebnet so den Weg für deren anschließende Festnahme und für Massenverhaftungen in der Provinz. Diese gelten nun dem rechten Parteiflügel, einer Strömung der Oligarchie mithin, die zwar für die Modernisierung, jedoch gegen die Zwangskollektivierung und gegen die Aufhebung der NEP aufgetreten ist. Aus der verhafteten Prominenz rekrutiert sich dann das Personal für den letzten großen Schauprozeß den der 21 , der am 2. März 1938 in Moskau beginnt. Mit Ex-Premier Rykow, dem ehemaligen stellvertretenden Außenminister Krestinskij, dem Prawda-Ex-Chefredakteur Bucharin und dem (abgesetzten) NKWD-Chef Jagoda sowie den abberufenen KP-Sekretären Weißrußlands, Usbekistans und der Ukraine bietet er Angeklagte auf, die bis vor kurzem zur engsten Führungselite der Sowjetunion gehörten.

Mit der physischen Vernichtung der alten NKWD-Führung vollzieht sich zugleich der Übergang zum flächendeckenden Staatsterror. Der NKWD, nun Stalins leibeigene Polizei, geht von der Elitenverfolgung zur Massenvernichtung über. Prozesse wie die in Moskau finden nun hundertfach auch in den einzelnen Teilrepubliken statt. Der Gulag erlebt seinen Höhepunkt, als die Verbannungen von einzelnen auf ganze Volksgruppen (etwa Polen und Deutsche) überspringen. Die alten Schranken und Hemmungen fallen. Der neue Volkskommissar für Inneres, Nikolai Jeschow, legt persönlich für Bezirke und Regionen Kennzahlen für zu vernichtende, abzuurteilende und zu verbannende Feinde fest, die von den NKWD-Gebietseinheiten auf jeden Fall erfüllt werden müssen. Diese entartete Modernisierung beim NKWD erfolgt bei gleichzeitiger radikaler Vernichtung seiner eigenen (nicht selten jüdisch geprägten) Elite der frühkommunistischen Ära und unter immensem Druck jüngerer, national gesinnter, aufstiegsbereiter Funktionäre aus der Provinz. Sie wiederholt also spiegelbildlich im Kleinformat, was die Zwei-Millionen-Partei im großen Ausmaß vorexerziert.

Stalins radikaler Ansatz, das schwer Integrierbare nicht zu neutralisieren, sondern zu vernichten, findet auch auf die kommunistischen Parteien des Auslands Anwendung, deren Eliten vor allem in Moskau (hier besonders im Hotel Lux) leben. Zwischen die Mühlsteine seiner großangelegten Vernichtung geraten so Lichtgestalten und Gründungsväter kommunistischer Bewegungen aus der ganzen Welt. Die Todesernte ist gründlich. Sie fordert nahezu die Gesamtheit jener Komintern, die sich noch an Lenin entsinnen kann und in Parallelität zur sowjetischen Geschichte ihren Aufstieg den eigenen Fähigkeiten (und nicht etwa Stalins Fürsprache) verdankt.

Der Liquidierungswelle zum Opfer fällt so die gesamte Führung der polnischen KP samt ihrem Vorsitzenden Julian Leszczynski-Lenski und den ZK-Mitgliedern Feliks Kon, Adolf Warski und Maria Koszutska. Erschossen werden auch die nach Moskau geflüchteten deutschen Kommunisten Hugo Eberlein, Hans Kippenberg und Heinz Neumann. Hingerichtet wird die engste Führung der KP Ungarns samt ihrem Gründer Bela Kun. Ein ähnliches Schicksal trifft die KP Jugoslawiens, die ihren Generalsekretär Milan Gorkic und die Parteigründer Filip Filipovic und Vladimir Ciopic verliert. Ihr Leben lassen auch die KP-Generalsekretäre Griechenlands, Rumäniens, Bulgariens und Finnlands Kantas, Dobrogeanu, Awramow und Manner. Liquidiert werden Vertreter der KP Chinas, Koreas, Mexikos und Irans, gesäubert die Führungen von Parteien aus dem Baltikum, aus Belgien, Großbritannien und der Türkei.

Schließlich gibt es auch Opfer unter den verbündeten Sozialisten, etwa unter den österreichischen Schutzbündlern, aber auch den spanischen Exilanten, die nach der Niederlage im Bürgerkrieg 1936 bis 1939 nach Moskau geraten. Als die Große Säuberung 1939 zum Abschluß kommt, ist die hoffnungslos dezimierte kommunistische Bewegung in Europa und Asien nur noch willenloses Werkzeug in Stalins Hand.

Fortsetzung in der nächsten JF

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