© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Deutsche Schule muß sein
Apollinisch: Otto Nicolai und die Lustigen Weiber
Wiebke Dethlefs

Otto Nicolai, am 9. Juni 1810 in Königsberg geboren, ist sicherlich der bedeutendste ostpreußische Komponist, da E.T.A. Hoffmann nur als Literat internationalen Ruhm erzielte. Er zielte künstlerisch auf die Verschmelzung von deutschem und italienischem Musikstil. Deutsche Schule muß sein, das ist die erste Bedingung, aber italienische Leichtigkeit muß dazukommen, wie Nicolai selbst postulierte.

Das Gesamtwerk dieses feinsinnigen Musikers ist heute, sieht man von seinem Opus magnum, der Oper Die lustigen Weiber von Windsor (nach Shakespeare) ab, leider weitgehend vergessen. Selbst in Deutschland ist er nur noch wenig bekannt, und jene Lustigen Weiber finden sich nicht mehr oft auf den Bühnen, da das Werk heutigen Regisseuren in seiner apollinischen Heiterkeit angeblich zu wenig ideologisch fundierte Inszenierungsmöglichkeiten bietet. Dennoch ist diese Oper ein Stern am Opernhimmel, der freilich aufgrund seines starken Lichterspiels alles verdunkelt, was Nicolai sonst noch geschrieben hat.

Er kam 1827 nach Berlin, wurde Schüler Zelters, lernte den strengen Stil und ging 1833 vier Jahre als Kapellmeister an die Preußische Gesandtschaft in Rom. 1837 wurde er in Wien Kapellmeister des Hoftheaters, doch ging er im Jahr darauf wieder nach Italien, wo er mit seiner zweiten Oper Il Templario kurzzeitig Furore machte. Zurückgekehrt nach Wien, initiierte er 1842 als Kapellmeister des Kärntnertor-Theaters einen Zyklus von Orchesterkonzerten, die bald als Wiener Philharmonische Konzerte zu einer festen Einrichtung wurden. So avancierte Nicolai zum Gründer der Wiener Philharmoniker. Er forderte als Dirigent höchste technische Vollendung und setzte hierbei besonders in der Beethoven-Interpretation neue Maßstäbe. Der zierliche Ostpreuße galt als geistreich, enthusiastisch, elegant, jedoch auch als cholerisch, diktatorisch und launenhaft.

1848 entstand die letzte seiner insgesamt fünf Opern, Die lustigen Weiber von Windsor, die er im Jahr darauf bei sehr schlechter Gesundheit fertigstellte. Zwei Monate nach der Premiere, die nur von mäßigem Erfolg war, starb Nicolai am 11. Mai 1849 an einem Schlaganfall.

Doch bald galten die Lustigen Weiber als beste deutsche komische Oper der Biedermeierzeit. Hier ist die deutsch-romantische Oper Webers und Spohrs mit der Rezitativtechnik der italienischen buffa so bravourös verbunden, daß Richard Strauss Nicolai 1924 bescheinigte, er sei in der deutschen Oper nach Mozart der einzige gewesen, der ein längeres, die Handlung wirklich bedeutungsvoll fortsetzendes Rezitativ geschrieben habe.

Freilich, Verdis Falstaff, die fast fünfzig Jahre später entstandene Vertonung des gleichen Sujets, überstrahlt Nicolais Schöpfung nicht nur im romanischen Kulturraum. Während Verdis Librettist Arrigo Boito aus Falstaff die Charakterstudie eines tragikomischen Späterotikers formte, erhebt Nicolais Textautor Salomon Mosenthal das Unterhaltende, Derbe und Heitere des Stoffes zum Handlungsgerüst. Trotz Verdis Falstaff blüht sie noch heute in ihrer quellenden, glücklichen Musik, in der Elastizität des Orchesters, in der Pracht ihrer Erfindung, in dem Übermut ihres Stils, der Deutsches und Italienisches durch die Macht einer ungehemmten Phantasie verbindet (Oscar Bie, 1913).

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