© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Das Talent arbeitet, das Genie schafft
Verträumtheit, Kampfeslust, Schmerz: Zum 200. Geburtstag des Komponisten Robert Schumann
Wiebke Dethlefs

Er steht im Zentrum der deutschen musikalischen Romantik und vereinigt in seinem Werk alle Facetten eines romantischen Künstlers: stille Verträumtheit, scharfe Kampfeslust, sprühenden Überschwang, mimosenhafte Sensibilität, eine Überfülle an phantastischen Geschichten und tiefmelancholischen, ja marasmischen Schmerz. Er kam wie Chopin, wie Nicolai, 1810 zur Welt, ein Jahr nach Mendelssohn, ein Jahr vor Liszt, zwei vor Wagner. Dadurch wird seine Stellung in der Musikgeschichte schon vorgezeichnet.

Die Großformen Symphonie und Sonate gelingen ihm besser als Chopin, doch ist er gemessen an der Monumentalität Beethovens oder der rätselhaften Weite Schuberts feiner, differenzierter er ist nervöser, gleicht dies aber durch seine enthusiastische Begeisterung immer wieder aus. In nur 24 Schaffensjahren entstand ein Gesamtwerk von gewaltigem Umfang, das alle musikalischen Gattungen bedient, wenngleich in unterschiedlicher Wertigkeit.

Schumanns typische Themenerfindung, die knappe, sich stets wiederholende Motive bevorzugt, steht deutlich dem breiten Gesangsmelos Schuberts und Mendelssohns gegenüber. Diese Kurzatmigkeit wurde oft geringgeschätzt. Schumanns Melos hat kaum ariose Form, doch gelang es dem Komponisten, in bisher unbekannte Seelentiefen vorzustoßen.

Das Klavierkonzert (a-moll, op. 54), für Hörer und Virtuosen oft das Klavierkonzert schlechthin, die Frühlings-Symphonie, die Eichendorff-Lieder mit der einzigartigen Mondnacht, der Zyklus Dichterliebe nach Heine und insbesondere die frühen Klavierwerke mit den Kinderszenen (op. 15) oder der großen C-Dur-Fantasie (op. 17) zählen zum Inspiriertesten der musikalischen Romantik.

Schumann, der Sachse aus Zwickau, war von Kindheit an von Literatur und Musik gleichsam begeistert und wollte Schüler Carl Maria von Webers werden. Dessen früher Tod wie der seines Vaters zwang ihn zum Studium der Juristerei in Leipzig. Doch widmete er sich dort immer mehr der Musik und begann, neben dem Schaffen an seinen ersten, oft literarisch verhafteten Klavierkompositionen, bei Friedrich Wieck das Klavierstudium. Doch ruinierte er sich die rechte Hand durch das unvernünftige Selbstexperiment, beim Üben einzelne Finger durch eine Schlinge aufzuhängen, um sie beweglicher zu machen. Die Virtuosenlaufbahn war damit beendet.

1834 gründete er die Neue Zeitschrift für Musik, die schnell mit ihren richtungweisenden Rezensionen und dem sicheren Gespür für qualitativ Neues (Schumanns erster Aufsatz galt Chopin) eine der angesehensten Zeitungen ihrer Art wurde. Schumanns Arbeiten als Musikschriftsteller zählen zum Besten, was das 19. Jahrhundert darin hervorbrachte.

1840 heiratete er nach langem Werben Wiecks Tochter Clara. Aus diesem Glücksgefühl heraus entstanden nun fast 150 Lieder, womit er erstmals nach seinen ersten 23 Opera, die nur Klavierwerke waren, die Gattung wechselte und mit denen allein er einer der größten Komponisten der Romantik geworden wäre.

Mit der Übersiedlung nach Dresden 1845 traten erste psychische Beschwerden auf ähnlich wie bei Hugo Wolf und Friedrich Smetana verursachten unbehandelte syphilitische Affekte aus der Zeit um 1830 die spätere geistige Zerrüttung. Die Dresdner Zeit war kompositorisch die ergiebigste seines Lebens, wenngleich er seine inzwischen kinderreich gewordene Familie dürftig als Chordirigent und mit Stundengeben durchbringen mußte. Über 40 seiner numerierten Opera entstanden allein in den fünf Jahren bis 1850.

Die Revolution 1849 ließ den zeitlebens sehr ängstlichen Schumann aufs Land fliehen, wo er aber immerhin vier republikanische Märsche (op. 76) komponierte. Begegnungen mit Richard Wagner verliefen für beide sehr unbefriedigend. Schumann schrieb, daß Wagner immerzu rede, so daß man ihn alsbald nicht mehr ertragen könne. Wagner stellte fest, daß Schumann ständig schweige, so daß mit ihm kein Gedankenaustausch möglich sei.

Das Angebot, 1850 als Musikdirektor nach Düsseldorf zu gehen, nahm Schumann freudig an. Seine introvertierte Art, die ihn als Dirigent und Orchestererzieher ungeeignet machte, und insbesonders die ständig schwankende Gesundheit führten bald zu Spannungen zwischen ihm und dem Orchester. Doch blühte in dieser Spätzeit (bei einem 40jährigen!) ein weiteres Mal eine ungeheure kompositorische Fruchtbarkeit auf. In Düsseldorf entstanden bis zum Ausbruch des Wahnsinns im Februar 1854 nochmals über 40 numerierte Opera, viele davon größere Zyklen. Die Rheinische Symphonie (op. 97) ist Ausdruck dieses neuen Aufbruchs und auch ideelle Spiegelung rheinischer Lebensart. Im Herbst 1853 konnte er nach einem kurzen Besuch des jungen Brahms diesem mit einer enthusiastischen Würdigung in seiner Neuen Musikalischen Zeitung noch den Weg ebnen. Doch dann begannen ihn Visionen zu peinigen. Nach einem Selbstmordversuch am 27. Februar 1854 wurde er auf eigenen Wunsch in die Irrenanstalt Endenich bei Bonn eingeliefert, wo er zweieinhalb Jahre später verdämmerte.

Vieles in Schumanns Schaffen ist bis heute nicht gewürdigt. So ist die einzige Oper Genoveva (1850), nach Hebbel und Tieck, seit ihrer Uraufführung ein sehr geschmähtes Werk. Als undramatische Literaturoper wird sie verrissen. Dabei übersehen ihre intellektuellen Kritikaster die unvergleichlichen melodischen Schönheiten, und in den feingezeichneten mittelalterlichen Genrebildern ihrer vielen Szenen ist sie ein Hauptwerk der deutschen romantischen Oper.

In den letzten Jahren erfuhr Schumanns erstes Oratorium Das Paradies und die Peri (nach Thomas Moore) in seiner Erlösungsproblematik eine gesteigerte Aufmerksamkeit, doch das zweite Der Rose Pilgerfahrt wird oft als zu butzenscheibenhaft abgetan. Überhaupt wird das Spätwerk immer unter dem Vorzeichen eines angeblichen Niedergangs der Schöpferkraft geringgeschätzt. Dabei gibt es hier manches, das weit in die Zukunft greift.

In der düsteren Ouvertüre zu Byrons Manfred ist Verzweiflung in Töne gebannt, wie es kaum einem anderen Komponisten gelang. Die spröden Violinsonaten (op. 105 und 121,1851) sind von einer Expressivität, die der des späten Brahms ähnelt, ja bereits zu Mahler hinweisen. Schumann scheint hier ein völliges Neuland betreten zu wollen. Das erst 1937 herausgegebene Violinkonzert besitzt im ersten Satz ein Hauptthema, das einer Brucknerschen Symphonie entnommen zu sein scheint. Eine seltsam fahle Stimmung hängt über dem ganzen Werk.

Kaum bekannt sind die gewaltigen Szenen aus Goethes Faust, ein eigenartiger Zwitter aus Oper und Oratorium, Schumanns nicht nur vom Umfang vielleicht bedeutendstes Werk. Mit den enigmatischen Gesängen der Frühe (op. 133), apostrophiert als musikalische Gedanken bei der Annäherung des Morgens, endet das Schaffen im Dezember 1853. Doch welcher Morgen ist gemeint? Ist es schon der bessere Morgen? Unüberhörbar atmen die fünf Stücke jenseitige Luft. Kaum gibt es einen rätselhafteren Abschied auf dem Klavier.

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