© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Angepaßt und ohne Hausmacht
CDU: Nach dem Abgang Roland Kochs wird der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich als stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei gehandelt
Paul Leonhard

Es war sein loses Mundwerk und sein Ruf als DDR-Dissident, das den sächsischen Innenminister Heinz Eggert einst auf den Posten eines der Vize-Bundesvorsitzenden der CDU spülte. Dem Pfarrer Gnadenlos aus dem Zittauer Gebirge traute man zu, mit bodenständigen und konservativen Bürgerrechtlern neuen Wind in die Partei zu bringen. Es war eine grandiose Fehleinschätzung.

Wenn jetzt erneut ein sächsischer CDU-Politiker für diesen Posten gehandeltwird, so zeigt das den desolaten Zustand der Bundespartei. Stanislaw Tillich ist das Gegenteil Eggerts: ein angepaßter, netter Mensch. Seine politische Karriere hat er in der Block-CDU sorgfältig geplant und nach dem für ihn überraschenden Ende der SED-Diktatur unter den Teppich gekehrt. Tillich verschwand als EU-Beobachter nach Brüssel, um irgendwann als farbloser Minister wieder aufzutauchen. Seine Wahl als Ministerpräsident ist eher eine Verlegenheitslösung. Kurt Biedenkopf hatte Sachsen eine stabile wirtschaftliche Grundlage verschafft, aber auch jegliche politischen Talente weggebissen.

Als Premier fiel Tillich bisher durch Untätigkeit und peinliche PR-Aktionen auf. So lobte er nach den Landtagswahlen die Mitarbeiter der Ministerien für ihre Unterstützung. Andererseits war Tillich der erste, der Roland Koch Mitte Mai Rückendeckung gab, als der den von Bund und Ländern geschlossenen Bildungspakt aufkündigte. Seiner Ansicht nach mache mehr Geld nicht automatisch klüger.

Tillich ist es schon lange ein Dorn im Auge, daß der Freistaat vor allem für Süddeutschland ausbildet. Zu viele Absolventen sächsischer Universitäten und Fachhochschulen zieht es dorthin. Ähnlich sieht es bei den Lehrlingen aus. Deswegen schielt er nach Osteuropa, um für die Zuwanderung von dort stammender Fachkräfte zu werben.

Zugleich sollen aber die Investitionen in Bildung und Infrastruktur drastisch gekürzt werden. Die Zuschüsse für den Ausbau der Schulen, Kindergärten und kommunalen Straßen sollen von 319 Millionen Euro auf 55 Millionen im Jahr 2011 und auf 32,5 Millionen 2012 gesenkt werden.

Als jetzt Michael Fuchs, Vize-Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, äußerte, ihm falle bei der Suche nach der künftigen konservativen Galionsfigur der Partei als einziger Tillich ein, war das für viele doch eine Überraschung. Tillich als Konservativer? Ich wußte gar nicht, daß unsere Partei schon so weit links steht, staunte ein Funktionär in Berlin.

In Sachsen selbst herrscht Funkstille. Lediglich der Dresdner Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz sagte, daß ein Bundes-Vize Tillich grundsätzlich eine vernünftige Lösung und für Ostdeutschland nicht schlecht wäre. Überzeugend klingt das nicht. Volle Unterstützung verspricht Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU). Man sei bereit, Mehrheiten zu organisieren. Wie er das zu machen gedenkt, verrät Böhmer nicht. Die mitteldeutschen CDU-Verbände spielen in der Bundespartei keine Rolle. Derzeit werden die stellvertretenden Bundesvorsitzenden von den vier großen Landesverbänden Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gestellt. Diese werden im November auch die meisten Delegierten zum Bundesparteitag nach Karlsruhe schicken. Warum sollten sie auf Einfluß verzichten, um eine ehemalige Block-Flöte ohne Hausmacht im Umfeld der Kanzlerin zu plazieren. Angela Merkel nimmt ohnehin für sich in Anspruch, die Stimme der Mitteldeutschen zu sein. Um politische Führung auszuüben, benötige man auch innerparteiliche Widersacher, hat unlängst der Duisburger Parteienforscher Karl-Rudolf Korte geäußert. Auf Tillich trifft das nicht unbedingt zu.

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