© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010

Schmerzliche Wahrheiten
FDP: Angesichts dramatisch fallender Umfragewerte und wachsender Unruhe an der Basis stehen den Liberalen entscheidende Wochen bevor
Ansgar Lange

Vermutlich hat die FDP-Führung erst einmal kräftig durchgeatmet, als sie am Dienstag vom Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler erfuhr. Die Medien, so konnte sie sicher sein, würden sich in den nächsten Tag nicht mehr für den desolaten Zustand der FDP interessieren.

Die Lage der Liberalen ist besorgniserregend. Die Umfragewerte stürzen ab, Parteichef Guido Westerwelle wird mittlerweile auch von Parteifreunde unter Feuer genommen, und die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen scheint an der FDP vorbeizulaufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, so mutmaßen Beobachter, käme ein Bruch des einstigen Traumbündnisses nicht mehr ungelegen. Mit den Sozialdemokraten war das Regieren doch irgendwie einfacher. Und die Kanzlerin konnte sich ganz aufs Moderieren verlegen.

Die FDP hat sich zudem noch nicht davon erholt, daß die Kanzlerin nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen Steuersenkungen eine Absage erteilte. Die Liberalen, die als Steuersenkungspartei angetreten waren und für dieses Versprechen auch von vielen Unionsanhängern gewählt wurden, stehen als Partei dar, die vor dem Machtwort Merkels einfach eingeknickt ist. Wenn Guido Westerwelle sagt, daß eine permanente Mehrbelastung der Bürger mit seiner Partei nicht zu machen sei, dann ist ihm die Panik ins Gesicht geschrieben, daß es doch anders kommen könnte. Denn wer glaubt noch den Beteuerungen von FDP-Generalsekretär Christian Lindner, mit der FDP werde es keine Steuererhöhungen geben? Beim Griechenland-Abenteuer der Bundesregierung hätten die Liberalen als Lordsiegelbewahrer wirtschaftlicher Vernunft zuletzt Flagge zeigen können. Doch sie haben geschwiegen. Eine rühmliche Ausnahme ist der Abgeordnete Frank Schäffler, der aus Protest als Obmann der FDP im Finanzausschuß des Bundestages zurückgetreten ist. Karriere wird er bei soviel Charakterstärke allerdings nicht mehr machen.

Angesichts der dramatischen Lage und eines Koalitionspartners, der mit den Liberalen äußerst ruppig umgeht, läuft die FDP Gefahr, wieder zur klassischen Umfallerpartei zu werden. Zu ihren zentralen Wahlkampfversprechen gehörte ein niedrigeres, einfacheres, gerechteres Steuersystem. Warum die Vereinfachung des komplizierten deutschen Steuersystems zur Zeit der angeblich geforderten Stabilisierung des Euro entgegensteht, weiß wohl nur die rhetorisch äußerst schwache Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger, die dies behauptet hat. Die Wirtschaftskrise gibt es bekanntlich nicht erst seit gestern, und trotzdem hatte Homburger in den Anfangsmonaten der schwarz-gelben Koalition keine Möglichkeit ausgelassen, die Forderung nach Steuersenkungen wie eine Monstranz vor sich herzutragen.

Für Stirnrunzeln sorgt auch der Schlingerkurs in Nordrhein-Westfalen. Mehr als drei Wochen nach der Landtagswahl hält FDP-Chef Westerwelle die Koalitionsfrage auf einmal wieder für offen und damit auch ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP für denkbar. Die neuerliche Kehrtwende des Guido Westerwelle offenbart das ganze Chaos der FDP, sagte die Fraktionschefin der NRW-Grünen, Sylvia Löhrmann, dem Tagesspiegel. Sie irrlichtert zwischen Machtkämpfen, Realitätsverlust und politischer Orientierungslosigkeit. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die den linken Parteiflügel der Liberalen repräsentiert, dürfte dieser Kursschwenk gefallen. Dabei darf bezweifelt werden, daß das scheinbare Anknüpfen an gute alte sozial-liberale Traditionen der FDP helfen wird, aus der derzeitigen Frustration mit den Schwarzen und der Schmollecke herauszufinden.

Die schmerzliche Wahrheit ist, daß Guidos Regierungsstadl (Die Welt) hinter den Erwarungen zurückbleibt. Der Außenminister ist weit entfernt von den Zustimmungsraten seiner Amtsvorgänger Joseph Fischer oder Hans-Dietrich Genscher. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel führt ein Ministerium, das die Liberalen eigentlich abschaffen wollten. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wird in der Finanzkrise immer mehr zum Ritter von der traurigen Gestalt, und Gesundheitsminister Pilipp Rösler sorgt für Unruhe, weil seine Pläne für eine Gesundheitsprämie offensichtlich zu einer deutlichen Mehrbelastung der vielfach beschworenen Leistungsträger führen. Und Leutheusser-Schnarrenberger macht klassische linksliberale Politik sehr zum Verdruß vieler FDP-Wähler, denen es bei ihrer Wahlentscheidung um Steuersenkungen, nicht aber um gesellschaftliche Umgestaltung ging.

Egal wie die Kabinettsklausur am Wochenende ausgeht: Der FDP stehen stürmische Zeiten bevor.

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