© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/10 04. Juni 2010


Wäre die Gewalt nicht ...
Wer wagt den Blick hinter die Kulissen der Regenbogennation Südafrika? Welche Zukunft haben die Weißen?
Frans van Riebeeck

Herr Buys, die Fußball-WM rückt das multikulturelle Südafrika ins Blickfeld. Mit welchen Herausforderungen sind Afrikaaner-Organisationen wie die Ihre in der Regenbogennation tatsächlich konfrontiert?

Buys: Solidariteit ist eine Familie von Afrikaaner-Organisationen, die auf einem christlichen Fundament steht. Wir bestehen aus einer Gewerkschaft, dem Sozialverband Die helfende Hand, der Bürgerrechtsbewegung AfriForum und unserer eigenen Berufsschule. Im südafrikanischen Kontext könnte man uns politisch als Mitte-Rechts bezeichnen. Wir sind marktwirtschaftlich orientiert, sind für den Verfassungs- und Rechtsstaat und die bürgerliche Selbstverantwortung und fördern gleichzeitig die Sprache Afrikaans und unsere Kultur.

Dies sind nicht die üblichen Betätigungsfelder von Gewerkschaften in Europa.

Buys: Nach 1994 dem Jahr des Endes der offiziellen Apartheidspolitik und der Regierungsübernahme durch den ANC wurden wir Afrikaaner zu einer ganz gewöhnlichen Minderheit mit all den gewöhnlichen Problemen von Minderheiten in Afrika. Obendrein sind Afrikaaner infolge der Geschichte eine unbeliebte Minderheit. Insofern steht Solidariteit vor besonderen Herausforderungen und das in einem Land mit der weltweit höchsten Gewaltkriminalität, einer immer schwächer werdenden staatlichen Infrastruktur und massiver Migration aus Afrika sowie stets steigenden Steuern für stets sinkende staatliche Dienstleistungen.

Sie haben sich juristisch immer wieder erfolgreich gegen die sogenannte umgekehrte Diskriminierung durchgesetzt. Damit machen Sie sich keine Freunde beim ANC.

Buys: Das nationale Projekt des ANC ist die Transformation des Landes mit dem Ziel, alle Institutionen rassisch proportional zu besetzen. In der Praxis bedeutet dies, daß auch Afrikaaner-Einrichtungen unter ANC-Kontrolle geraten sind. Zu den Folgen zählt, daß zwanzig Prozent der Weißen immerhin 1,2 Millionen Menschen seit 1994 das Land verlassen haben. Die direkte Folge dieser Auswanderung ist, daß viele staatliche Einrichtungen von den Krankenhäusern bis hin zu den Gemeinden inzwischen improvisieren oder sogar ihrem Auftrag nicht mehr gerecht werden können, weil qualifizierte Kräfte fehlen. Südafrika erlebt einen kritischen Fachkräftemangel, benötigt dringend Ärzte, Ingenieure, IT-Spezialisten, Handwerker, Leute für alle Fachrichtungen. Unser Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, die für Afrikaaner eine dauerhafte Perspektive in diesem Land bieten und ihnen ermöglichen, zu dessen Erfolg beitragen zu können.

Spielt Rasse also immer noch eine wichtige Rolle in der Regenbogennation?

Buys: Das vorherige System war rassistisch, das neue Südafrika ist geradezu besessen von der Bezugsgröße Rasse. Sie bestimmt, welche Gelegenheiten sich bei der Ausbildung, Bewerbung auf Arbeitsplätze, staatlicher Unterstützung für Arme, ja sogar Unternehmens­aufträgen bieten. Das einzig Positive daran ist, daß Weiße sich verstärkt um die Schaffung eigener Chancen bemühen, indem sie Unternehmen gründen. Die Jungen leisten heutzutage viel mehr im schulischen Bereich und an den Universitäten, weil sie wissen, daß ihnen aufgrund ihrer Hautfarbe nur wenige Möglichkeiten bleiben. Diese Leistungsbereitschaft bewirkt, daß immerhin vierzig Prozent der Weißen wirtschaftlich heute sogar besser gestellt sind als früher.

Aus Ihrer Sicht bremst aber dennoch die umgekehrte Diskriminierung den Fortschritt im Land?

Buys: Ja, im Namen der Transformation findet ein allumfassender Umbruch von allem und auf allen Ebenen statt. Die Folge ist leider die Demodernisierung Südafrikas, wie der liberale Schriftsteller Brian Pottinger unlängst schrieb.

Besteht nicht vielleicht doch so etwas wie eine historische Rechtfertigung für kompensatorische Maßnahmen oder sogenannte positive Diskriminierung?

Buys: Wir unterstützen die Korrektur dessen, was ungerecht war. Insofern sind wir auch für Gleichberechtigung und das Prinzip der Chancengleichheit für alle. Nur sind Maßnahmen der positiven Diskriminierung in der Umsetzung problematisch, und zwar aus zwei gewichtigen Gründen: Erstens sind solche Maßnahmen ungeeignet aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung des Landes. Möglicherweise könnte man noch für kompensatorische Maßnahmen sein, wenn es sich dabei um eine Minderheit handelt, aber doch nicht, wenn es die Mehrheit betrifft. Weiße Männer besetzen noch zehn Prozent der Stellen im Land. Diese weiter zu diskriminieren, wird die Auswanderung beschleunigen, ohne daß dadurch der Mehrheit geholfen wäre. Zweitens berücksichtigt der Ansatz nicht ausreichend die afrikanische Entwicklungsproblematik. Nicht alle Probleme Afrikas und Südafrikas sind die Folge der Apartheid. Die meisten Probleme Südafrikas findet man genauso im restlichen Afrika, und Lösungen zu finden, erweist sich noch immer als schwierig. Dazu gehören Probleme wie der Status der Frauen, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die rasante Verstädterung und der Mangel an einer nachhaltigen Entwicklungskultur. Ein Teil des Problems scheint mir daher auch die vereinfachte marxistische Analyse, der zufolge Apartheid verantwortlich ist für alle Probleme und folglich die Lösung sein muß, umgekehrte Maßnahmen einzuleiten, die alles wieder korrigieren.

Die jüngste Studie des Instituts für Staatspolitik bescheinigt Südafrika das Scheitern (s)eines multikulturellen Experiments.

Buys: Der größte Fehler postkolonialer Regierungen in Afrika war das übertriebene Vertrauen in die Tauglichkeit des Staates als Instrument der Problemlösung. Der öffentliche Dienst dieser meist sehr heterogenen Staaten war sofort überlastet und konnte nicht das leisten, was von ihm erwartet wurde. Es gab einfach nicht genug Fachwissen oder Geld, und die Anforderungen waren viel zu groß. Europäische Sozialstaaten können vielleicht noch einige Zeit funktionieren, aber doch nicht Staaten, in denen weniger als zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt Steuern zahlen und der Rest mehrheitlich aus Analphabeten besteht. Staatsintervention in Afrika war daher leider fast immer ein katastrophaler Mißerfolg. Der ANC begeht gerade den gleichen Fehler und verschärft die Lage durch einen zusätzlichen Faktor. Man glaubt nicht nur, der Staat könne alles tun, sondern man hat ihn gleichzeitig bis zur Unfähigkeit transformiert. Unser Nachbarland Botswana ist so erfolgreich, weil die Regierung dort gerade nicht versucht, Dinge anzupacken, die man sich nicht leisten kann.

Sehen Sie Fortschritte bei der Förderung schwarzer Unternehmer im Sinne des Black Economic Empowerment?

Buys: Es gibt viele schwarze Geschäftsleute, die sich etabliert haben. Nur taten sie dies nicht aufgrund von BEE, sondern trotzdem. Die erzwungene Übertragung von Wirtschaftskraft hat den Kuchen neu verteilt, aber keineswegs vergrößert. Dadurch hat sich lediglich eine kleine politische Elite bereichert. Es wurden auch kaum neue Unternehmen oder Arbeitsplätze geschaffen, sondern lediglich die in Armut Lebenden wütend gemacht.

Was erwarten Sie von der neuerlichen Bekräftigung des ANC und dessen Bündnispartner SAKP, das Programm der Nationalen demokratischen Revolution nun energisch umzusetzen?

Buys: Der ANC hat während der Verhandlungen vor 1994 programmatische Zugeständnisse gemacht, um an die Macht zu kommen. Jetzt, wo er die Macht hat, nutzt er sie, um die ursprünglichen Ziele zu verwirklichen. Die Verfassung wird nun regelmäßig umgangen. Politiker sprechen heutzutage immer mehr über die ANC-Strategie oder die Nationale demokratische Revolution und immer weniger über Verfassungswerte. Der Regierung ist die Verfassung anscheinend zunehmend unwichtig. Die Kommunistische Partei hat großen Einfluß, und es wird immer mehr über Nationalisierung, Enteignung und viele andere politische Aspekte debattiert, die Simbabwe schon zerstört haben.

Welche Rolle werden Minderheiten in Zukunft spielen?

Buys: Minderheiten sind vom politischen Prozeß gänzlich ausgeschlossen und auf sich selbst angewiesen. Sie werden lernen müssen, ohne den Staat auszukommen. Wäre die Gewalt in Südafrika nicht so schlimm, würde ihnen dies wohl leichter fallen. Wir Afrikaaner haben vielleicht viele Makel, aber wir haben Afrika als unser Zuhause akzeptiert, indem wir unser Volk, unsere Sprache, unser Land und unsere Unternehmen nach dem Kontinent benannt haben. Südafrika ist auch durch uns zum wirtschaftlichen Riesen gewachsen, der für die Hälfte der Gesamtproduktion südlich der Sahara verantwortlich war.

Die Regierung erlebt, wenn auch in europäischen Medien unberücksichtigt, Unruhen auf dem Niveau der Zeit des Ausnahmezustands 1987. Wie läßt sich das Land stabilisieren, und was würden Sie der heutigen Regierung raten?

Buys: Die Regierung hat Erwartungen erzeugt, die sie nicht erfüllen kann. Die schwarze Bevölkerung erwartet Häuser für umsonst, ebenso Arbeitsplätze, Dienst- und Sozialleistungen. Südafrika ist noch immer der größte unterfinanzierte, man könnte sagen: unfinanzierte, Sozialstaat der Welt. Wir haben fünf Millionen Steuerzahler und 18 Millionen Empfänger von staatlichen Transferleistungen diverser Art. Das kann der Staat nicht lange durchhalten. Die Regierung müßte also zunächst zu der Erkenntnis gelangen, daß dieser Sozialismus nicht funktioniert. Menschen sollten aufgrund ihrer Leistung und nicht ihrer Hautfarbe Arbeitsplätze annehmen dürfen. Um sie im Land zu halten, sollten ausgebildete und leistungsorientierte Minderheiten nicht wie Untertanen behandelt werden, die lediglich ihre Steuern zu zahlen haben. Wenn Menschen das Gefühl bekommen, sie seien Bürger zweiter Klasse, dann ziehen sie in einer globalisierten Welt eben woanders hin. Es ist eine Tragödie, daß wir in Südafrika Probleme mit der Elektrizitäts- und Gesundheitsversorgung erleben, während es in Australien inzwischen Kraftwerke und Krankenhäuser gibt, in denen Afrikaans als Arbeitssprache zu hören ist.

Dann stellt sich doch die Frage, ob 1994 etwas schiefgelaufen ist. Hätte es eine bessere Lösung geben können?

Buys: Man hat den Fehler begangen, sich damals auf eine ganz normale englische Demokratie zu einigen, ohne wirksamen Schutz für Minderheiten. Besser wäre es gewesen, sich das Schweizer Model genau anzuschauen: Dort kann die demographische Mehrheit eben nicht die Rechte und Interessen der anderen Minderheiten im Land einfach ignorieren. Aufgrund unserer demographischen Schwäche haben wir in Südafrika zwar Stimmrecht, aber keine ernsthafte Stimmkraft. Wir hätten im Verhandlungsprozeß für eine Provinz des Landes einen Status anstreben sollen, der unsere Interessen besser schützen könnte.

 

Flip Buys, ist Generalsekretär der ältesten Gewerkschaft und größten Afrikaaner-Organisation Südafrikas, der Solidariteit ( www.solidariteit.co.za ). Der ehemalige Zusammenschluß weißer Minenarbeiter, der heute zahlreiche Berufsgruppen vertritt, von der Landwirtschaft über die chemische und Elektro-Industrie bis zur Telekommunikation, hat seit 1997 seine Mitgliederzahl auf heute rund 130.000 fast verfünffacht. Der studierte Kommunikationswissenschaftler Flip Buys wurde 1963 in Delareyville im Norden Südafrikas geboren.

Afrikaaner, Kapholländer, Weißafrikaner oder Buren (von Boer, zu deutsch Bauer) nennt sich die vor allem niederländischstämmige weiße Bevölkerung Südafrikas. Neun Prozent der etwa 49 Millionen Südafrikaner sind heute noch weiß, zwei Drittel davon sind Afrikaaner.

Foto: Rassenkonflikt in Johannesburg im Mai 2008 starben während einer einwöchigen Gewaltwelle vierzig Menschen, Hunderte wurden verletzt, Tausende mußten fliehen: Ein Land geprägt von der höchsten Gewaltkriminalität weltweit, immer schwächer werdender Infrastruktur, massiver Migration, steigenden Steuern und sinkenden staatlichen Dienstleistungen

 

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