© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Meldungen

„Böhmische Dörfer“ und langlebige Klischees

PADERBORN. „Palmström reist, mit einem Herrn v. Korf,/in ein sogenanntes Böhmisches Dorf./Unverständlich bleibt ihm alles dort,/von dem ersten bis zum letzten Wort.“ Mit solcher Lyrik hat sich Christian Morgenstern an der Fabrikation und Verfestigung von „Stereotypen“ über unsere tschechischen Nachbarn beteiligt. In einer kaum überschaubaren Zahl von deutschen Intellektuellen sei Morgenstern allerdings nicht denen zuzurechnen, die sich aus dem „antihussitisch-antitschechischen“ Stereotypenfundus am leidenschaftlichsten bedienten. Hierfür klagt der Oldenburger Historiker Tobias Weger in seiner Untersuchung über „Alte und neue Tschechen-Bilder in Deutschland“ (Jahrbuch für Europäische Ethnologie 2009) den „völkischen“ Zeitgeist nach 1918 an, dem vor allem das „Grenzlanddeutschtum“, die künstlich formierten „Sudetendeutschen“ hörig gewesen seien. Weger glaubt, daß deren „Vorurteile“ über den tschechischen „Volkscharakter“ selbst heute noch die öffentliche Meinung über den mitteleuropäischen EU-Partner bestimmen. Eine Blütenlese aus gängigen Reiseführern scheint das zu bestätigen, für die etwa Reduktionen auf den „Schwejk-Charakter“ oder die Musikalität („Jeder Böhme ist ein Musikant“) der Tschechen zum eisernen Bestand gehören. Die gegenwärtige Debatte in Prag über die veröffentlichten Bilder von den antideutschen Massakern im Mai 1945 (JF 22/10), die wohl keine Auswirkungen auf den Bestandsschutz der bis in die EU transferierten Benes-Dekrete haben werden, bietet allerdings auch nicht allzu viel Hoffnung, daß sich zumindest das von Sudetendeutschen befeuerte „Vorurteil“ entkräften wird.

 

Erste-Sätze

Wären Flächeninhalt und Menschenzahl der einzige Maßstab für Größe und Bedeutung der Staaten, so stände der Attische weit unter Hunnischen und Mongolischen Horden.

August Boeckh: Die Staatshaushaltung der Athener, 3. Aufl. Berlin 1886

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