© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

„Es ist ganz okay, hier zu leben“
Der Grünen-Politiker Robert Habeck fordert einen linken Patriotismus, der auch ohne Deutschland auskommen soll
Daniel Napiorkowski

Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen“, schreibt Robert Habeck, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein und Autor mehrerer Romane und Jugendbücher. Der Titel der neuen Schrift des 39jährigen läßt daher aufhorchen: „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“.

In der jüngeren Geschichte der Bundrepublik sorgten vor allem zwei Ereignisse für eine nationale Euphorie: die Wiedervereinigung und die Fußballweltmeisterschaft 2006. Letztere verwandelte das Land in ein Meer aus schwarzrotgoldenen Fahnen und ging mit einem gänzlich unpolitischen nationalen Jubel einher. In diesem Zusammenhang entstand der Kunstbegriff „Partyotismus“, der die damals herrschende Stimmung recht treffend beschreibt. Einen ähnlich unverbindlichen Patriotismus wünscht sich auch Habeck: Es müsse ein „Wir“-Gefühl entstehen, das sich nicht in der Abgrenzung zu „den anderen“ definiert. Der Zusammenarbeit solle sich nicht vom Volk, sondern von Fans ausgehen. Entsprechend kritisch steht Habeck den „Wir sind das Volk“-Rufen 1989/90 und dem neuem Gemeinschaftsgefühl im Zuge der Wiedervereinigung gegenüber.

Er möchte der konservativen eine linke Interpretation entgegensetzen. Patriotismus dürfe nicht in einem vergangenheitsfixierten Sinne verwendet werden, müsse vom „mythischen Ballast“ (Jürgen Habermas) eines Arndt, eines Fallersleben und erst recht eines Hans Grimm befreit werden. Und überhaupt sei Patriotismus auch ohne Deutschland möglich. Habecks einziges Bekenntnis zu Deutschland ist deshalb die schlichte Feststellung: „Es ist ganz okay, hier zu leben.“ Auf welchen konkreten identitätsstiftenden Kriterien Patriotismus aufbauen soll, bleibt weithin unklar; jedenfalls spielerisch, lustig und farbenfroh müsse er sein. Nachdem sich Habeck jedoch seitenlang erklärt und bemüht, aufgezeigt und dargelegt hat, was ihm mißfällt und was sich verbietet, klingt seine Interpretation alles andere als spielerisch: sondern wie ein einziger Kraftakt. Diesen Eindruck vermag auch nicht der durchgehend flapsige, an die Alltagssprache Heranwachsender anbiedernde Tonfall zu korrigieren.

Der Klappentext verkündet, Habeck wage mit seinen Gedanken etwas „Unerhörtes“. Wenn man das Plädoyer liest, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dies sei nicht nur als Werbefloskel gemeint. Vergessen sind offenbar Kurt Schumacher und Karl Bröger, Egon Bahr und Helmut Schmidt sowie andere dezidiert patriotische Linke. Nicht einmal Ferdinand Lassalle findet Erwähnung, der mit seiner linken Nationalstaatslehre einer der größten Antipoden eines an Marx und Engels ausgerichteten Sozialismus war. Als einzige Referenzgröße dient – Barack Obama. Dessen Patriotismus störe nicht, da er Begrenzungen wie Territorium, Heimat und Herkunft überwinde, glaubt Habeck. Der entscheidende Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland – daß sich nämlich jene über ihre Einwanderer erst als Volk definieren, während Deutschland eine noch mehrheitlich autochthone Bevölkerung hat – wird in diesem Kontext dann auch lieber gar nicht angesprochen.

Über die Motivation, die hinter Habecks Plädoyer steht, kann man nur mutmaßen. Kurt Schumacher sah einen der größten Fehler der Weimarer Linken darin, daß sie die nationale Idee der Rechten überließ. Auch Habeck bescheinigt der bundesdeutschen Linken ein „unaufgeklärtes Verhältnis zum Gemeinwohl“. Sein Patriotismus-Plädoyer dürfte zu einer Aufklärung allerdings kaum beitragen. Denn während Lassalle, Schumacher oder auch noch etwa Herbert Ammon und Peter Brandt („Die Linke und die Nation“, 1981) eine „linkspatriotische“ Vision hatten, ist das Bild, das Habeck zeichnet, ein völlig beliebiges.

Robert Habeck: Patriotismus. Ein linkes Plädoyer. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010, gebunden, 207 Seiten, 19,95 Euro

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