© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Das Ende des weißen Mannes
Republikaner, Rächer, Revisionist: Hollywood-Urgestein Clint Eastwood wird achtzig
Martin Lichtmesz

Die amerikanische Filmindustrie steht heute in der überwiegenden Mehrheit auf der Seite der Demokraten, und trotz prominenter Beispiele wie Ronald Reagan und Arnold Schwarzenegger ist der „Hollywood-Republikaner“ eher Ausnahme als Regel. Eine der wenigen „konservativen“ Ikonen Hollywoods ist Clint Eastwood, der am 31. Mai achtzig Jahre alt wird.

Das hängt allerdings weniger mit seinem tatsächlichen politischen Engagement (etwa als zeitweiliger Bürgermeister einer kalifornischen Gemeinde) als mit der markanten Leinwand-Persona zusammen, für die sein Name seit nunmehr über vierzig Jahren zum Markenzeichen geworden ist. Denn der in San Francisco/Kalifornien geborene Schauspieler, Regisseur und Musiker, der seit 1952 Mitglied der Republikaner ist, und sowohl Nixon als auch John McCain in ihren Wahlkampagnen unterstützt hat, ist persönlich eher als „Libertärer“ denn als „Konservativer“ einzustufen.

In den siebziger Jahren allerdings galt Eastwood als erklärtes Feindbild der Linken, die in ihm vor allem wegen der Titelrolle in Don Siegels Thriller „Dirty Harry“ (1971) einen „Faschisten“, „Sexisten“ und reaktionären Macho sahen. Als verbitterter Cop „Dirty Harry“ Callahan setzt er sich mit der Magnum im Anschlag gegen all die schlappschwänzigen Liberalen durch, die nicht begreifen wollen, daß Gewalt nur mit Gegengewalt bekämpft werden kann und der Ernstfall die Debatten überflüssig macht.

In „High Plains Drifter“ (Ein Fremder ohne Namen, 1972) schleift er, ohne ein Wort zu sprechen, eine Saloon-Prostituierte, die ihn lautstark anpöbelt, kurzerhand in die nächste Scheune, um ihr per Vergewaltigung (die sie am Ende natürlich willig genießt) Respekt beizubringen. Nicht nur mit solchen Szenen verletzte Eastwood gezielt die Grenzen der Political Correctness. Seine ikonischen Darstellungen traditioneller Männlichkeit hatten auch immer eine dunkle Seite. Im Gegensatz zu dem auf ähnliche Rollen abonnierten Charles Bronson war er nicht bloß ein Action-Star, sondern als Regisseur seiner eigenen Filme ein lange unterschätzer, erstaunlich vielseitiger Filmautor, der der trivialen Kunstfigur des rauhen Einzelkämpfers als Westernheld, Cop, Geheimagent oder Soldat Tiefe und Komplexität zu verleihen wußte.

Als Eastwood 1971 mit dem Thriller „Play Misty For Me“ (Sadistico) als Regisseur debütierte, hatte er bereits eine beachtliche Schauspielerkarriere hinter sich. Der schlanke, 1,90 Meter große Eastwood mit seinem kantigen Gesicht, dem zähnebleckenden Grinsen, der heiser hervorgepreßten Stimme und den zu bedrohlichen Sehschlitzen zusammengekniffenen Augen hatte aus seiner eher steifen und herben Erscheinung eine Tugend gemacht. Zunächst als Darsteller in der Western-TV-Serie „Rawhide“ (1959–65), schließlich als wortkarger, kaltblütiger „Fremder ohne Namen“ in Sergio Leones „Dollar“-Trilogie, die ihn zum Star machte.

Eastwood übernahm diese Figur aus der ikonoklastischen Schule des Italo-Westerns und führte sie in die Tradition von Westerndarstellern wie William S. Hart, Harry Carey und dem späten John Wayne zurück. Letzterer hatte in John Fords „The Searchers“ (Der schwarze Falke, 1956) den Prototyp des „revisionistischen“ Westernhelden verkörpert: als rassistischer, von Traumata und dunklen Obsessionen getriebener Südstaatler war Wayne in diesem Film furchterregender als sein Gegenspieler, der grausame Comanchen-Häuptling Scar.

Im folgenden Jahrzehnt, besonders im Gefolge des Vietnamkrieges, verlor der Western an Prestige und begann zusammen mit dem idealisierten Bild Amerikas seine eigene Ikonographie zu hinterfragen. Diesem Umdenken trugen auch Eastwoods Filme Rechnung. „The Outlaw Josey Wales“ (Der Texaner, 1976), eines der bevorzugten Werke des Regisseurs, zeigte ihn als einsamen Südstaaten-Rebellen auf dem Rachefeldzug gegen die Yankees, die seine Familie ermordet hatten, mit einem alten Indianer als Mitstreiter, der ebenfalls mit den Blauhemden eine Rechnung offen hat.

Der Westernheld stand nun allein gegen alle, wurde zum „Outlaw“ – nicht weil er im Unrecht war, sondern im Gegenteil, weil die Welt moralisch auf dem Kopf stand. Er konnte in dieser Situation allerdings nicht strahlend und einwandfrei bleiben wie George Stevens prototypischer „Shane“ (1953), sondern wurde zum düsteren, moralisch ambivalenten „Pale Rider“ (1985). In Eastwoods Oscar-gekröntem Spätwestern „Unforgiven“ (Erbarmungslos, 1992) ist auch er nur mehr ein Killer unter Killern, aber einer, der um seine Verworfenheit weiß.

Der „Revisionismus“ von Eastwoods Filmen schüttete jedoch niemals, wie in Deutschland üblich, das Kind mit dem Badewasser aus. „Flags of Our Fathers“ (2006) etwa kritisierte die Mechanismen patriotischer Mythenbildung, ohne den Patriotismus selbst oder das Opfer des kämpfenden Soldaten in Frage zu stellen.

In diesem Geiste unterzog Eastwood in „Gran Torino“ (2008) auch den eigenen Mythos einer halb ironischen, halb affirmativen Revision. Hier spielte er den misanthropen Witwer und Koreakrieg-Veteranen Walt Kowalski, der auf seiner Veranda ein Sternenbanner wehen läßt, und über den Verfall des alten Amerika seiner Jugend verbittert ist. Auch er steht „allein gegen alle“. Seiner Familie gilt er als knorriger Dinosaurier, seine Nachbarschaft ist überfremdet durch den massiven Zuzug von Ostasiaten. In der verhaßten „multikulturellen Gesellschaft“, in der er zu leben gezwungen ist, steht Gewalt an der Tagesordnung, und wie in Zeiten von „Dirty Harry“ kann sich nur der Mann mit der Waffe in der Hand Respekt und Sicherheit verschaffen. Eher wider Willen wird Kowalski schließlich zum Schutzpatron einer Hmong-Familie und zum männlichen Rollenbild für deren vaterlosen Sohn. Dem bringt er unter anderem bei, daß ein „richtiger“ Mann nicht nur mit Waffen und Werkzeug umgehen, sondern auch politisch unkorrekt fluchen muß. Wie in so vielen Filmen tritt Eastwoods Charakter am Ende zum letzten Gefecht gegen eine Überzahl von Schurken an – doch diesmal, um sich zu opfern, statt zu töten. Seinen geliebten, symbolträchtigen „Gran Torino“, Baujahr 1972, vererbt er dem jungen Hmong.

Der immer noch rüstige und ungebrochen aktive Regisseur inszenierte hier seinen eigenen Schwanengesang, und vielleicht auch den eines bestimmten Typus, der in Barack Obamas „post-racial America“ zunehmend an Status verliert: Am Ende von „Gran Torino“ tritt der weiße, patriarchale Mann der „Frontier“ würdevoll, aber endgültig ab; seine Erben sind andere als die eigenen Söhne, die sich freiwillig von ihm losgesagt haben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen