© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Verhärtete Fronten in Eisenach
Deutsche Burschenschaft: Dem traditionsreichen studentischen Dachverband droht auf seiner Jahrestagung wegen politischer Streitigkeiten der Zerfall
Peter Freitag

Wer Harmonie sucht, ist auf dem Burschentag fehl am Platz. Wenn die Mitglieder der Deutschen Burschenschaft (DB) traditionell in der Woche nach Pfingsten in Eisenach zusammenkommen, steht meistens Streit auf dem Programm. Dieser Tage scheint sogar ein ganz besonders spannungsgeladenes Treffen bevorzustehen; von dem bisweilen behauptet wird, es könnte für die Frage des Fortbestands der DB von entscheidender Bedeutung sein.

Häufig werden dabei zwei Lager gegenübergestellt, das der „liberalen“ und das der „konservativen“ Bünde, wobei letztere vor allem im Zusammenschluß der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) verortet werden. Bereits in den neunziger Jahren hatte es eine Austrittswelle von Bünden des sogenannten liberalen Lagers gegeben, von denen einige sich in der Neuen Deutschen Burschenschaft (NDB) zusammengeschlossen haben. In der Folge wuchs der Einfluß der Burschenschaftlichen Gemeinschaft in der DB, was zum Teil jedoch auch daran lag, daß sich ihre Mitglieder häufig überproportional stark in die inhaltliche Arbeit des Dachverbands einbrachten.

In den vergangenen vier Jahren kehrten jedoch noch einmal zahlreiche Bünde – darunter viele mitgliederstarke – dem Dachverband den Rücken. Offiziellen Angaben zufolge soll die DB auf diese Weise rund 3.000 Aktive und Alte Herren verloren haben und zählt jetzt noch rund 10.000 Mirglieder. Besonders symbolträchtig ist, daß nunmehr keine der drei aus der 1815 gegründeten Jenaischen Urburschenschaft hervorgegangenen Burschenschaften (Germania, Arminia und Teutonia Jena) noch Mitglied der DB ist. Daß weitere Austritte folgen, gilt als sicher. „Dieser Dachverband kostet nur noch, er nützt uns nicht mehr; im Gegenteil, er schadet uns sogar, wenn in den Medien immer wieder der radikale Rand fokussiert wird“, ist ein häufig zu hörender Vorwurf.

Besonders große Verbindungen erwägen daher den Austritt, weil sie pro Mitglied einen Beitrag an den Dachverband abführen müssen, aber nur genausoviel Stimmrecht haben wie kleine Burschenschaften. Weil sich die Deutsche Burschenschaft also hinsichtlich ihrer repräsentativen Bedeutung und ihres Einflusses in einer existentiellen Krise befindet, hat die bis zum Wochenende amtierende vorsitzende Burschenschaft, Normannia Heidelberg, erstmals sogenannte „Regionalkonferenzen“ einberufen, auf denen recht offen und deutlich über die Mißstände im Verband debattiert wurde.

Was dabei zutage gefördert wurde, ist nicht gerade schmeichelhaft für den Akademikerverband: Seit der Wiedervereinigung sei das große gemeinsame Ziel abhanden gekommen; die Beziehungen der Mitgliedsbünde untereinander seien häufig von „Unkenntnis, Vorurteilen und Mißtrauen geprägt“, ein „Verfall der Umgangsformen“ allerorten sichtbar. Bei vielen jüngeren Mitgliedern gebe es „einen beschämenden Mangel an Kenntnissen“ über burschenschaftliche Grundsätze. Auch genügten viele Burschenschafter nicht dem in sie gesetzten Anspruch, sich in Parteien, Verbänden oder Gremien politisch zu engagieren. Oft werde „aus Bequemlichkeit“ ein Beitrag verweigert, man konstruiere lieber „ideologische Luftschlösser, um die eigene Faulheit als verdienstvolle Boykotthaltung gegen ein verrottetes Parteisystem, einen die Volksinteressen verratenden Staat oder eine dekadente Gesellschaft zu adeln“.

Trotz solch harscher Kritik blieb auch Raum für positive Feststellungen: „Die Ansichten der allermeisten Verbandsbrüder zu Politik und Gesellschaft sind sehr ähnlicher Natur und damit grundsätzlich gut vereinbar.“ Nicht nur wegen dieser Regionalkonferenzen erhielt Normannia Heidelberg allgemein großes Lob für die Arbeit als Vorsitzende. Dem Bund, der selbst der konservativen BG angehört, wird ein großes Bemühen um einen Ausgleich innerhalb des Verbandes attestiert.

Damit war die Hoffnung verbunden, die verhärteten Fronten aufzubrechen: zwischen denen, die sich wechselseitig entweder die willkürliche Preisgabe burschenschaftlicher Grundsätze zugunsten des Zeitgeists oder das fundamentalistische Beharren auf irrealen Zielen vorhalten.

Genau diese Hoffnung ist jedoch ausgerechnet vor diesem Burschentag geschwunden, wenn nämlich ein „rassistischer Vorfall“ im Nachklang des Burschentags 2009 zur Sprache gebracht wird. Hintergrund ist ein Streit über die Rechtmäßigkeit der Aufnahme eines Kölner Burschenschafters, der zur Hälfte deutscher, zur Hälfte afrikanischer Herkunft ist. In einem vergleichbaren Fall Anfang der neunziger Jahre hatte der Rechtsausschuß der DB erklärt, eine solche Aufnahme widerspreche nicht dem „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“, wonach die deutsche Abstammung Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der DB seien.

Desungeachtet wurde der betreffende Kölner von Mitgliedern verschiedener Burschenschaften in der Öffentlichkeit beleidigt und (unter Alkoholeinfluß) angepöbelt, was wiederum für Empörung im Großteil der DB sorgte. Gegen acht Bünde wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, ein Verbandsobmann mußte seinen Posten räumen.

In den Antragsunterlagen zum Burschentag heißt es seitens der Vorsitzenden dazu, „rassistische Entgleisungen können und dürfen“ nicht geduldet werden. Wer Mitglied der Deutschen Burschenschaft sei, müsse auch deren Regelwerke beachten. „Das gilt für jeden Bund unabhängig von seiner politischen Verortung.“ In zwei Anträgen fordern mehrere Burschenschaften „eine eindeutige Positionierung“, da die Vorfälle öffentlich geworden sind. Damit ist für weiteren Zündstoff gesorgt. Und es mag manchem Bund den willkommenen Anlaß zum Austritt liefern.

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