© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/10 28. Mai 2010

Geschäftige Nullen
Milliarden-Euro-Paket: Der Bundestag als Scheinparlament
Thorsten Hinz

Es ging ganz schnell. Der Bundestag war Freitagmittag fertig, der Bundesrat am Nachmittag. Der Bundespräsident, der zu prüfen hat, ob alles verfassungsgemäß verlaufen ist – ein Verfahren, das sich sonst über Wochen hinzieht –, unterzeichnete das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eine europäischen Stabilisierungsmechanismus am Samstag.

 Der Gesetzestext ist so kurz und blumig wie die Verlagsankündigung für einen neuen Roman. Es geht ja auch nur um knapp 150 Milliarden Euro, um die deutsche Finanzhoheit und um das Vermögen der deutschen Sparer. Klar ist immerhin: Wir sind zur Plünderung durch unsere europäischen Freunde und die internationale Finanzindustrie freigegeben.

Es handelt sich um ein Euro-Ermächtigungsgesetz, und es fällt angesichts des Abstimmungsverhaltens nicht schwer, sich vorzustellen, wie diese Opportunisten, die sich Volksvertreter nennen, noch bei ganz anderen Ermächtigungsgesetzen entscheiden würden. Die Zahl der Abweichler war klein. Die Enthaltung von SPD und Grünen zählt nicht, sie war feige, durchsichtig und rein taktisch motiviert.

Der einzige Debattenbeitrag, der die tiefere Bedeutung des Beschlusses wenigstens streifte, kam vom Linkspolitiker Gregor Gysi: „Wenn wir hier im Bundestag einmal um eine Million Euro für einen sozialen oder einen kulturellen Zweck kämpfen, dann dauert es neun Monate, bis wir das ‘Nein’ hören. Wenn es aber um -zig Milliarden Euro geht, dann wird in diesem Bundestag alles innerhalb einer Woche entschieden.“ Das Parlament darf sich mit der Verteilung der Kuchenkrümel beschäftigen und eine Fassade aus „geschäftigen Nullen“ (Gottfried Benn) errichten, hinter der anonym die Tortenstücke ausgeteilt werden. Der Bundestag hat sich selber zum Scheinparlament einer Bananenrepublik erklärt.

Spinnen wir den Gedanken weiter: Wenn mehr als 600 Abgeordnete nur einer politischen Meinung sein dürfen, weil diese – wie die Regierung ihnen versichert – alternativlos ist, dann kann man die politischen Abläufe auch verkürzen und auf einen Diktator konzentrieren, der die Alternativlosigkeit selbst verkörpert, beglaubigt und kostengünstig durchexerziert. Wann war denn der Bundestag zuletzt das Plenum, wo die wichtigen Dinge – wilde Zuwanderung, Gender-Unfug, Militärpolitik, Islamisierung, Erpressung mit Entschädigungsforderungen, Mißbrauch der Sozialsysteme – frei und sachkundig ausdiskutiert wurden?

Apropos Sozialsysteme. Selbstverständlich ist ihr Umbau nötig, aber die politische Klasse hat die moralische Legitimität dazu verloren. Wenn einem Rentner, der nach 45 Jahren harter Arbeit lächerliche 800 Euro erhält, jetzt die Rentenerhöhung vorenthalten wird, um das eingesparte Geld irgendwelchen Bankrotteuren und Krisengewinnlern zuzuschanzen, spätestens dann formieren die Funktionseliten sich offen als Bürgerkriegspartei gegen ihr Volk und nehmen es als Geisel für ihr eigenes Versagen.

Das institutionelle Gefüge fault an allen Ecken und Enden, doch am meisten stinkt es von der Spitze her. Ein subalterner Beamter namens Horst Köhler, der als Finanzstaatssekretär für die Vertragsverhandlungen zur Währungsunion verantwortlich war, wies 1992 in einem Spiegel-Interview die „Angstmache“ zurück, die die Euro-Kritiker „in zum Teil sträflicher Art und Weise“ betrieben. Die Verträge verböten, daß Länder, die sich durch eigenes Verhalten hohe Defizite zulegten, Anspruch auf Transferzahlungen erheben könnten. Die Realität ist, wie wir jetzt wissen, eine andere. Dieser Mann ist heute Bundespräsident und hat ein natürliches Interesse daran, eine Fehlerdiskussion zu verhindern.

Das Wort „sträflich“ aber sollte man sich merken und ganz genau prüfen, welche Minister, Abgeordneten und Beamten bei der Euro-Einführung entweder aus Dummheit oder aus Vorsatz gehandelt haben. Im zweiten Fall wäre der Beweis erbracht, daß Regierungs- oder politische Kriminalität kein Privileg von Diktaturen ist. Und in jedem Fall müßten alle, die in den Euro-Skandal verstrickt sind, sich dem Vorwurf stellen, für politische Ämter ungeeignet zu sein.

Das Versagen der Institutionen – Bundestag, Bundesrat, Regierung und Präsident – entspringt nicht nur den persönlichen Defiziten der Amtsträger, sondern einem politischen Habitus, der sich unter der eingeschränkten Souveränität der deutschen Teilstaatlichkeit herausgebildet hatte. Die neue deutsche Staatsräson erfüllte sich im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, alle politischen Zurücksetzungen und Demütigungen wurden kompensiert, belohnt und gerechtfertigt durch den Wohlstand.

Kaum etwas war 1989/90 so groß wie die Angst vor einer Rückkehr der Politik und vor einer erneuten Überforderung durch sie. Der überstürzte und unprofessionelle Verzicht auf die D-Mark, sein wichtigstes Machtmittel, steht symbolhaft für die willentliche Entpolitisierung des deutschen Staates. Mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus kommt die Bundesrepublik Deutschland zwanzig Jahre nach der falschen Wiedervereinigung wirklich zu sich selbst. 

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