© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Ernst Reuter – Ein zerrissenes Leben: Die schillernden Facetten eines kämpferischen Demokraten
Prinzipientreue und Patriotismus prägten seinen Lebensweg
Baal Müller

Wie wenig die heutige SPD mit der Partei Ernst Reuters zu tun hat, wird durch die Dokumentation von Jan Peter und Yuri Winterberg über den legendären Berliner Oberbürgermeister eindrucksvoll vorgeführt. Es verwundert daher nicht, daß außer dem früheren Daimler-Chef Edzard Reuter, der den Zuschauer durch die Welt seines Vaters führt, nur Helmut Schmidt und Egon Bahr als Parteifreunde und Zeitzeugen zu Wort kommen – was hätten ein Siegmar Gabriel oder eine Andrea Nahles auch über diesen Mann zu sagen, für den der Kampf gegen den Kommunismus eine existentielle Angelegenheit im Namen von Millionen Berlinern gewesen ist?

Wie viele Männer seiner Generation war der 1889 im schleswigschen Apenrade Geborene vom Ersten Weltkrieg körperlich und seelisch gezeichnet; und wie andere führende Sozialdemokraten kannte er den Kommunismus auch von innen – es war jedoch weniger theoretischer Utopismus als vielmehr sein Organisationstalent, das den Kriegsgefangenen 1918 zum Volkskommissar der Wolgadeutschen machte.

Abenteuerlich war das Leben Reuters, der nach der Novemberrevolution als Kommunist nach Deutschland zurückkehrte, sich aber 1922 wieder der SPD zuwandte, zweifellos: Es führte ihn, nachdem er 1933 von den Nationalsozialisten inhaftiert worden war, in die Türkei und 1946 wieder zurück nach Deutschland, wo er 1948 zum Oberbürgermeister Berlins (seit 1950 „Regierender Bürgermeister“) gewählt wurde – und doch ist nicht ganz klar, warum es sich um „ein zerrissenes Leben“ handeln soll, wie der Untertitel  suggeriert. Zerrissen war die Stadt, zu deren Tribun er während der Blockade werden sollte, aber kaum Reuter selbst, dessen Leben in einer Weise von Prinzipientreue und Patriotismus geprägt war, daß man heute betrübt auf seine politischen Erben blickt, wenn man Reuters heisere Stimme sprechen hört: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!“

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