© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Verwegene Absichten
Regina Mühlhäuser behauptet, sexuelle Gewalt gegen Zivilisten sei ein verbreitetes Phänomen gewesen
Hans-Joachim von Leesen

Das im Frühjahr erschienene Buch von Regina Mühlhäuser „Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941 bis 1945“ zerstöre die Legende von der sauberen Wehrmacht, behauptete Der Spiegel vom 22. März 2010 in einer ausführlichen Besprechung. Dies faßt bereits der Text auf dem Schutzumschlag des Mühlhäuser-Buches zusammen, wonach „von deutschen Truppenangehörigen verübte sexuelle Verbrechen (...) in den besetzten Gebieten der SU ein weitverbreitetes Phänomen“ waren, denn die Soldaten „machten Frauen zu Opfern sexueller Folter und begingen Vergewaltigungen“.

Die junge Autorin erhielt, wie mitgeteilt wird, die ersten Impulse zu dem Buch in einer Arbeitsgruppe „Krieg und Geschlecht“ an Jan Philipp Reemtsmas Hamburger Institut für Sozialforschung, bei dem sie inzwischen angestellt ist. Und sie dankt dann auch besonders jenem Literaturwissenschaftler und Millionenerben, der einer breiten Öffentlichkeit durch die von ihm organisierte Wanderausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ republikweit bekannt wurde, die auf blamable Weise abgebrochen werden mußte, nachdem zahlreiche massive Fälschungen nachgewiesen worden waren.

Zehn Millionen deutsche Wehrmachtsangehörige sollen im Laufe des Krieges an der Ostfront eingesetzt gewesen sein. Daß unter diesen Männern auch solche waren, die sich Sexualverbrechen zuschulden kommen ließen, liegt auf der Hand. So erfahren wir, daß insgesamt 5.349 Männer der Wehrmacht und der Waffen SS wegen Sittlichkeitsdelikten von deutschen Militärgerichten verurteilt worden seien. Diese verhältnismäßig wenigen Fälle sind für Mühlhäuser, die vermutlich schon vor Beginn ihrer Forschungen am HIS genau wußte, daß sexuelle Verbrechen deutscher Soldaten ein „weitverbreitetes Phänomen“ waren, ein Beweis dafür, daß in Wirklichkeit viel mehr Sexualdelikte begangen wurden, die aber nicht gerichtlich verfolgt wurden. So bleibt nach solch verwegener Schlußfolgerung nur die Flucht in Wendungen wie „offenbar, offensichtlich, vermutlich“, die überreichlich in dem Buch zu finden sind. Sie zitiert den Kriegsgerichtserlaß vom Mai 1941, der festlegt, daß „für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht (...) gegen feindliche Zivilpersonen begehen“, kein Verfolgungszwang besteht. Sie gibt aber zu, daß damit keineswegs freie Hand für Sittlichkeitsdelikte deutscher Soldaten gegeben ist. Dort wird nämlich auch festgelegt, daß der Gerichtsherr einschreiten muß gegen „schwere Taten, die auf geschlechtlicher Hemmungslosigkeit beruhen oder ein Anzeichen dafür sind, daß die Truppe zu verwildern drohe“.

In einem Zusatzbefehl heißt es zudem, es dürfe „nicht dahin kommen, daß der einzelne Soldat gegenüber den Landesbewohnern tut und läßt, was ihm gut dünkt, sondern daß er in jedem Fall gebunden ist an die Befehle seiner Offiziere“. Damit widerlegt sie ihre Behauptung, daß sexuelle Übergriffe deutscher Soldaten zwar nicht legal und nicht von Vorgesetzten befohlen waren, aber auch keine Ausnahmen bildeten und zudem erlaubt waren. Die Autorin kann nicht umhin zuzugeben, daß die Frage nach dem Ausmaß der sexuellen Gewalt deutscher Soldaten „bis heute nicht annähernd realistisch beantwortet werden kann“.

Bereits vor einigen Jahren hatte die Historikerin Birgit Beck an der Universität Bern in ihrer Dissertation „Wehrmacht und sexuelle Gewalt“ (Paderborn 2002) auf Grundlage von 178 Strafverfahren den Umgang der Wehrmachtsjustiz mit sexueller Gewalt von Truppenangehörigen gegen Zivilisten untersucht. Darin sieht sie zwar eine unterschiedliche Intention der Strafverfolgung von Sexualstraftaten auf unterschiedlichen Kriegsschauplätzen – „überraschend harte Reaktionen“ in Frankreich als Beleg des völkerrechtlichen Schutzes der Zivilisten und eher „in der Wahrung der ‘Manneszucht’“ oder der „Umsetzung ideologischer Prämissen“ begründete „drastische Urteile“ im Osten. Eine „Strategie der sexuellen Gewalt“ jedoch verneint Beck explizit.

Die Behauptungen Mühlhäusers dagegen beruhen meist auf Erzählungen. Die Quellenangaben sind häufig nicht nachprüfbar, doch geht es stets um Einzeltaten, von denen niemand behauptet hat, daß es sie nicht gegeben habe. Verwaschen wird die Beweisführung, wenn Mühlhäuser es nicht nur bei sexuellen Gewalttaten beläßt, sondern unter den von ihr benutzten Begriff „sexuelle Begegnungen“, die sie den Soldaten anlastet, alles mögliche subsumiert – von sexueller Folter bis zu einvernehmlichen Affären und romantischen Liebesverhältnissen.

Man bekommt bei der Lektüre den Eindruck, es gehe der Verfasserin von Anfang an darum, auf Biegen oder Brechen zu „beweisen“, daß von deutschen Soldaten verübte sexuelle Verbrechen ein weitverbreitetes Phänomen waren. Und danach wählt sie unter den Akten der Militärgerichte aus. Entlastende Quellen läßt sie fort, so etwa den „Sonderbericht über das Verhalten Jugendlicher in den besetzten Gebieten des Stalingrader Gebietes“ vom „Leiter des NKWD – Verwaltung des Stalingrader Gebietes – Woronin, Kommissar für Staatssicherheit“ vom 15. April 1943, den der russische Historiker Aleksander E. Epifanov in „Die Tragödie der deutschen Kriegsgefangenen in Stalingrad“ (Osnabrück 1996) veröffentlichte.

Nach der Rückeroberung der Stadt hat der sowjetische Geheimdienst sehr genau und erstaunlich sachlich das Verhalten der Bevölkerung untersucht. Er kam zu dem Schluß, daß es „den faschistischen Okkupanten“ gelungen sei, große Teile vor allem der Jugendlichen – Männer wie Frauen – für sich zu gewinnen, obgleich sie alle Komsomolzen waren. So werden die jungen Mädchen und Frauen gerügt, weil viele deutsche Soldaten als Freunde hatten und bereit waren, in der von der Wehrmacht aufgebauten Verwaltung mitzuarbeiten. Als Hauptursache solchen Verhaltens stellte der Hauptkommissar für Staatssicherheit unter anderem fest: „die gute technische Ausrüstung und die mustergültige Disziplin der deutschen Wehrmacht“.

Regina Mühlhäuser: Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941–1945. Hamburger Edition, Hamburg 2010,  gebunden, 416 Seiten, Abbildungen, 32 Euro

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