© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/10 21. Mai 2010

Spielwiesen in der Schutzzone
Linkes Lob der Privatschule
Ellen Kositza

Nach der Pisa-Studie 2006, die dem deutschen staatlichen Schulsystem miese Karten ausstellte, erfuhren Privatschulen regen Zulauf. Die Zahl der dort beschulten Kinder stieg um 18 Prozent an – auf heute etwa 600.000. Diese Zahlen werden durch einen gewissen Anmeldungsrückgang nach der Aufdeckung von Mißbrauchsfällen an Privatschulen kaum einbrechen – überstieg doch bislang der Bedarf das Angebot deutlich. Derzeit befinden sich knapp zehn Prozent der allgemeinbildenden Schulen in freier Trägerschaft (weit weniger als im europäischen Vergleich), und diese Zahl dürfte in absehbarer Zeit kaum anwachsen: Hunderttausende Lehrer werden demnächst pensioniert, und womöglich können gerade Privatschulen wegen der geringen staatlichen Zuschüsse beim „Gehaltswettlauf“ nicht mithalten.

Christian Füller ist taz-Autor und erhielt dort wegen seiner Einlassungen zugunsten von Privatschulen bereits böse Leserbriefe guter Linker. Sie klagten ihn als „Agenten des Neoliberalismus“ an und forderten seinen Rauswurf. Nun nimmt Füller dieses Ergebnis seiner Privatschul-Recherche bereits im Prolog vorweg: Ja, Privatschüler erzielen im Schnitt bessere Leistungen. Das liege zum einen an der besonderen Auswahl ihrer Schüler, aber auch daran, daß sie ihr Konzept selbst bestimmen, Lehrer auswählen und ihre Finanzen selbst verwalten können. Füller und seine Co-Autoren haben einige Privatschulen besucht. Die Spannweite reicht vom Jesuitenkolleg St. Blasien über die profit­orientierte Phorms-Schule, die Odenwaldschule, Waldorfschulen bis hin zur von Popstar Nena mitbegründeten Neuen Schule Hamburg, wo die Kinder nicht nur entscheiden, was, sondern ob sie überhaupt lernen wollen.

Füllers Überblick setzt im wesentlichen an bei den klassischen Privatschul-Ressentiments links-alternativer Eltern, die einerseits eine innere Abwehr gegen Elitenbildung und „soziale Segregation“ mit sich tragen, andererseits ihre Kinder doch ungern dem Kreuzberger Stadtschulmilieu überlassen wollen. Durchschnittlich 60 Euro kostet der Schulbesuch auf einer der 700 katholischen Schulen, etwa das Doppelte wird in den evangelischen Einrichtungen verlangt. Für den Besuch der Odenwaldschule (mit Internat) werden 2.200 Euro fällig, das wird begründet mit der „energieintensiven Betreuung bis ins Private hinein“. Daß dieses Buch mit Ratgebercharakter vor dem Bekanntwerden des Mißbrauchsskandals in Druck gegangen ist, wird an etlichen Stellen sichtbar.

Christian Füller: Ausweg Privatschulen? Was sie besser können, woran sie scheitern. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010, broschiert, 274 Seiten, 16 Euro

Foto: Amerikaner beim Einmarsch in Wernberg/Oberpfalz, April 1945

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